Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso
Autoren: Susanne Falk
Vom Netzwerk:
würde, der diesem Elendsdorf zukam – in der Versenkung!

17
    Es war Markttag in Treviso, und Salvatore Tarlo hatte bereits Aufstellung hinter seinem Stand genommen. Eine Gruppe westfälischer Kegelclubdamen mit religiöser Überzeugung und aufrichtigem Interesse an handgeschnitzten Katzenfiguren scharte sich wie aus dem Nichts um ihn und machte ihn binnen sieben Minuten zu einem erfolgreichen Unternehmer – wenigstens für diesen Tag. Gerade legte er sich neues Wechselgeld zurecht, als die Frau, deren Gemüsestand an den seinen grenzte, ihm deutlich und für alle Umstehenden verständlich zuflüsterte: «Was sagen Sie
dazu
, Signor Tarlo? Ist das nicht einfach unglaublich?»
    Salvatore, dank der Westfälinnen immer noch ganz im Goldrausch, begriff nicht, was sie meinte, und nahm an, sie spreche ihn auf das Konsumverhalten der deutschen Pilgerinnen an, also strahlte er und sagte: «Ja, unglaublich! So viel hab ich seit langem nicht an einem Tag verkauft!» Aber offensichtlich hatte er sie falsch verstanden.
    «Nein, ich meine doch Longhi, den Bürgermeister, oder sagen wir besser Exbürgermeister, und was er über unsere Madonna gesagt hat.»
    Nein, davon habe er noch nichts gehört. Sei es denn etwas Schlimmes?
    «Allerdings! Dieser Bastard hat doch glatt behauptet, dass die weinende Madonna von Treviso eine Fälschung ist!»
    Das sei ja wirklich unerhört, sagte Salvatore. Und könne dieser Longhi das auch beweisen?
    «Er sagt, er kann es, wenn man ihn lässt. Er behauptet, die Madonna hat einen kleinen Mechanismus im Inneren, und der macht, dass sie Rotweintränen weint. Ich persönlich», und damit beugte sich die Gemüsefrau noch ein wenig näher zu Salvatore, «denke ja, dass Longhi jetzt endgültig durchgeknallt ist. Schließlich hat der Mann versucht, das Rathaus anzuzünden. Ich meine, das sagt doch schon alles!»
    «Jaja», antwortete Salvatore zerstreut, und nach einer Pause fügte er hinzu: «Sagt man sich auch, woher er den Unsinn mit dem Mechanismus in der Madonna hat?»
    «Angeblich stand es in der
Repubblica

    «In der
Repubblica

    «Jawohl, in der
Repubblica
. Eine Madonna in Rom, angeblich eine Kopie von unserer aus Treviso, hat angefangen, rote Tränen zu weinen. Sie haben sie geröntgt. In der ist so ein Mechanismus drin!»
    Salvatore konnte nur noch eines denken: Wie lange würde es dauern, bis Don Antonio dieses Gerücht zu Ohren kam, und würde die Zeit bis dahin ausreichen, um das Dorf zu verlassen?

18
    Sie reichte nicht. Als Salvatore gegen sechzehn Uhr in seine Straße einbog, wartete Don Antonio bereits ungeduldig vor seiner Haustür. Obwohl Salvatore wusste, warum er da war, beschloss er, die Aussprache noch ein paar Sekunden hinauszuzögern, bis ihm eine gute Entschuldigung eingefallen war.
    «Kriecht dir ein Engel aus dem Arsch, oder warum guckst du so verkniffen?» Es sollte ein Scherz sein, aber bei Don Antonio verfehlte er leider seine Wirkung. Nun muss ich mir gleich zwei Entschuldigungen auf einmal ausdenken, dachte Salvatore, und weil das seinen Intellekt dann doch ein bisschen überforderte, ließ er in den folgenden Minuten eine wilde Tirade aus Verwünschungen, Beschimpfungen und kaum kaschierten Drohungen wortlos über sich ergehen, während er den aufgebrachten Don Antonio kurzerhand auf einen Küchenstuhl bugsierte und Kaffee aufbrühte. Und dann passierte das Seltsame: Der Priester brach in sich zusammen. Von einer Sekunde auf die andere sah man in Don Antonios Gesicht die Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit vor einer Situation, der er nicht mehr gewachsen war und die zu beherrschen er schon lange aufgegeben hatte. Salvatore fühlte Mitleid mit seinem Freund und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    «Und das Schlimmste ist», sagte Don Antonio, «dass wir so gar nichts machen können. Ich meine, wenn Fratelli klagen will, dann wird er es tun, und ich habekeine Ahnung, wie ich ihn davon abbringen soll, einen solchen Prozess anzuzetteln!»
    «Fratelli? Unser Bürgermeister? Ich verstehe nicht ganz   …» Salvatore hatte offensichtlich den Faden verloren. Wer klagte hier wen an – und warum?
    «Ja, unser Hornochse von Bürgermeister, Mario Fratelli, will eine Klage einreichen, mit der er Longhi beweisen kann, dass unsere Madonna keine Fälschung ist. Verstehst du, diesmal haben sie uns am Arsch! Wenn es zum Prozess kommt, dann sind wir beide geliefert!»
    Salvatore begriff, dass er seinen Stand für Geschnitztes und Gedrechseltes demnächst in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher