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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso
Autoren: Susanne Falk
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erzählt? Don Antonio nahm nicht an, dass de Renzi seine ganze Vergangenheit beichten würde, aber das bedeutete nicht, dass er nicht alles daransetzte, um die weinende Madonna als Fälschung zu entlarven und sich so an Don Antonio zu rächen. Was also hatte de Renzi vor? Und gerade als Don Antonio glaubte, Francesco de Renzi sei sein größtes Problem im Raum, winkte ihm Don Ignazio vom Fensterbrett aus zu. Der untote Pfarrer von Treviso hatte es sich unweit der Richterbank gemütlich gemacht, ließ seine Beine baumeln und beobachtete amüsiert das Treiben im Saal.
    Don Antonio hatte den Geist des Pfarrers noch nie außerhalb der Kirche gesehen. Genaugenommen hatte er ihn, mit Ausnahme der Nacht, in der Don Ignazio das Geheimnis Francesco de Renzis enttarnt hatte, nie außerhalb der Krypta gesehen. Und nun saß er hier im Bezirksgericht vor dem Fenster und wirkte so lebensecht wie der Richter und alle anderen im Saal. Don Antonio war sich jetzt ganz sicher, dass er langsam durchdrehte.Kurz bevor der Anwalt Emmanuele Benito Longhis begann, seine Fragen an ihn zu richten, schoss ihm durch den Kopf, dass, wenn er Don Ignazio sehen konnte, Francesco de Renzi es vielleicht auch könne, und das brachte ihn derart aus der Fassung, dass er die Frage erst nach dreifacher Wiederholung beantworten konnte.
    «Sie sind seit dreiunddreißig Jahren Pfarrer der Gemeinde Treviso?»
    «Ähm   … ja», sagte Don Antonio.
    «Ist Ihnen in dieser gesamten Zeit jemals etwas Ungewöhnliches an der betreffenden Madonnenstatue aufgefallen?»
    «Ähm   … nein.»
    «Nein?»
    «Nein.»
    «Ich sage Ihnen auch, warum dies so ist. Die Madonna», und hier machte der Anwalt eine bedeutungsschwangere Pause, «konnte in den letzten dreiunddreißig Jahren niemandem auffallen, weil sie sich gar nicht im Kirchenschiff befand. Erst im September des letzten Jahres, so die Aussage mehrerer Zeugen, tauchte sie plötzlich wie aus dem Nichts in einer Seitenloge der Kirche von Treviso auf.» Und damit zeigte der Anwalt auf die besagte Madonnenstatue, die als Beweismittel nun auf einem Eichenholztisch links neben der Richterbank stand, in seltsamer Eintracht mit ihrer von Salvatore Tarlo gefertigten Zwillingsschwester. Zusammen mit ihrem Besitzer, dem kinnbärtigen Herrn, der sich vorhin mit Maria unterhalten hatte, war die Statue aus Romhierhergebracht worden. Der römische Kunstkenner hatte zuvor bereits geschildert, wie es zur Entdeckung des Mechanismus im Inneren der Madonna gekommen war. Offenbar hatte die Fernbedienung seines Fernsehgerätes zur Aktivierung der Tränenpumpe geführt, und Don Antonio verfluchte den Tag, an dem seine Schwester Salvatore Tarlo über die Schwelle des Pfarrhauses von Treviso gelassen hatte. Jetzt, wo die beiden Statuen nebeneinanderstanden, konnte man deutlich erkennen, dass eine der beiden kleiner war.
    «Diese Statue», fuhr der Anwalt fort, «lag jahrzehntelang in der Krypta der Kirche von Treviso.»
    «Er ist gut», sagte Don Ignazio. «Pass auf, Junge, jetzt wird er dich fragen, ob du sie in der Kirche aufgestellt hast.»
    Konnte ihn sonst noch jemand hören? Die anderen Menschen im Saal schienen keine Notiz von dem feixenden Pfarrer auf dem Fensterbrett zu nehmen.
    «Haben Sie die Madonna im September letzten Jahres dort platziert?»
    «Ich   … ja, also, nein, platziert hab ich sie nicht, ich habe sie dort aufgestellt, weil   …»
    «Und das sogenannte Wunder ereignete sich zum ersten Mal am 15.   September im Rahmen einer Hochzeit?»
    «Ja», antwortete Don Antonio, der seine feuchten Hände möglichst unauffällig an seinem Gewand abzutrocknen suchte. Erneut blickte er in Richtung de Renzis, der aber immer noch mit steinerner Miene zumRichter schaute und sowohl die Blicke Don Antonios wie auch Don Ignazios entweder nicht zu bemerken schien oder sie schlichtweg ignorierte. Derweil kam der Anwalt der Castellesen in Fahrt.
    «Ist es richtig, dass die Madonna von Ihnen zuvor einem ortsansässigen Schnitzmeister namens Salvatore Tarlo anvertraut worden war, der sie vor der Aufstellung in der Kirche restaurieren sollte?»
    «Gewissermaßen ja», sagte Don Antonio.
    «So, jetzt kommt der Showdown, Antonio, mach dich bereit!», kicherte Don Ignazio auf seiner Bank.
    Don Antonio sah seinen Vorgänger verzweifelt an. «Halt den Mund, alter Mann!», zischte er in Richtung Fenster.
    «Wie bitte?», fragte der Anwalt. «Haben Sie etwas gesagt?»
    «Nein, ich habe   … nein, ich wollte nichts   …», stammelte Don
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