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Das Wrack

Titel: Das Wrack
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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kaum so viele Leute von Bord entbehren.« Und damit ging er in seine Kajüte hinunter, dem Mate vollkommen freies Spiel an Deck lassend.
    »Hm«, brummte der Mate leise vor sich hin, als ihn sein Vorgesetzter allein ließ. »Wenn Sie meinem Rat folgen wollen – die alte Geschichte. Nehm ich die Jolle, so bring ich nichts drin fort und kriege Grobheiten, nehm ich die Launch und finde nichts Gescheites, so krieg ich auch welche. Da nehm ich doch lieber gleich die Launch und vier Mann. Die sieben, die mit dem Untersteuermann an Bord bleiben, sind indes gerade genug, um die Nacht zusammen zu schlafen, denn weiter haben sie doch nichts zu tun. Also ans Werk – wer weiß denn, was da noch in dem alten Kasten liegt, und schon die Segel, die da noch an den Rahen sitzen, sind der Mühe wert – aber mit zwei Mann kann ich gar nichts da drüben ausrichten und vertändle die ganze Nacht.«
    Und ohne weiteres ging der Seemann jetzt daran, die Launch in die See zu lassen, was mit Hilfe der ganzen Mannschaft auch in wenigen Minuten geschehen war. Der Steward musste ihm indes ein Fässchen mit Wasser füllen, denn ein Matrose verlässt nicht leicht ein Schiff, ohne sich zu verproviantieren, da man nie wissen kann, was vorfällt; ein Korb Zwieback wurde ebenfalls an Bord geschafft, und alles, was von kaltem Fleisch vorrätig war, damit die von Bord Gehenden ihre Abendmahlzeit unterwegs verzehren konnten – einen Taschenkompass steckte der Mate noch ein, und mit vier tüchtigen Leuten, die er sich ausgesucht, stieß das unbehülfliche Fahrzeug, dessen Segel man jetzt, gegen den Wind an, nicht gebrauchen konnte, von Bord, und ruderte schwerfällig gegen die Strömung des Kanals an.
    Der Kapitän kam gleich darauf an Deck und sah seinem Boot kopfschüttelnd nach; aber er sagte kein Wort, warf nur einen Blick nach Osten und den sich dort bildenden Nebelstreifen hinüber, einen andern nach seinem Takelwerk hinauf, und stieg dann wieder in seine Kajüte hinab, die Schiffsordnung vor der Hand dem Untersteuermann überlassend.
    Es war indessen später geworden, als der Mate gedacht, denn so rasch lässt sich ein so großes Boot doch nicht mit allem Nötigen versehen, und der Steward hatte auch so nichtswürdig lange getrödelt, ehe er ein kleines Fass fand und mit Wasser füllte. Die Sonne war nicht einmal mehr anderthalb Stunden hoch, denn in der Nähe des Äquators geht sie, mit nur geringem Unterschied in den Jahreszeiten, regelmäßig um sechs Uhr auf und um sechs Uhr unter, und der Mond schien ebenfalls nicht heute nacht. – Aber was tat's. Im schlimmsten Fall, und wenn es sich der Mühe wert zeigte, blieben sie die Nacht an Bord des Wracks – oder besser noch auf der kleinen Insel dicht daneben, wo die Schiffbrüchigen ebenfalls geschlafen –, zurück konnten sie dann morgen früh mit Tagesanbruch segeln und das eigene Schiff recht gut in einer Stunde erreichen.
    Die vier Matrosen ruderten indes aus allen Kräften gegen die gar nicht etwa so unbedeutende Strömung an, und wer weiß, ob sie sich unter anderen Umständen so willig und gern in die wirklich schwere Arbeit gefunden hätten. Aber ihr eigenes Interesse war in Anspruch genommen, und sie legten sich mit Anspannung aller ihrer Sehnen in die Ruder, um nur erst einmal den Kanal zu passieren; draußen wussten sie dann, dass sie es lange nicht mehr so schwer bekommen würden.
    Endlich hatten sie die Einfahrt erreicht und schaukelten bald darauf draußen auf den ruhig rollenden Wogen, wo sie auch jetzt, nachdem sie noch ein Stück von den Brandungswellen fortgerudert waren, ihr Segel aufspannen konnten. Der Wind war außerordentlich leicht, aber er half doch ein wenig.
    Das Wrack lag jetzt vor ihnen, und sie liefen ziemlich rasch hinan, während der Steuermann indes mit seinem Fernrohr den Namen des Schiffes auszumachen suchte. Er schien sich auch in seiner anfänglichen Vermutung nicht geirrt zu haben. Es war wirklich ein Holländer, trug wenigstens einen holländischen Namen, Meisje van Utrecht, und schien allem Vermuten nach – wenigstens was man von hier aus noch erkennen konnte – ein ganz neues Schiff zu sein.
    »Jungens, Jungens«, sagte der Mate, während er das Glas neben sich legte und die Schote des Segels ein klein wenig mehr anzog, um den Wind besser zu fangen. »Das ist richtig ein Holländer. – Gott weiß freilich, wie der da hinaufgeraten ist, denn die Holländer gehen sonst immer um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien; wenn wir aber Glück haben,
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