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Das Wort des Hastur - 12

Das Wort des Hastur - 12

Titel: Das Wort des Hastur - 12
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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förmlich über. Unwillkürlich öffnete Asharra sich dem Gedankenstrom und fing bruchstückhaft ein Bild auf. Schockiert riß sie die Augen auf.
    Eine Kataklysmus-Apparatur, genau wie jene, die den See von Hali zerstörte!
    »Nein!«, schrie sie entsetzt. »Das darfst du nicht tun! Ich werde die anderen Türme warnen!«
    »Wer wird dir schon glauben? Niemand hegt auch nur den geringsten Verdacht. Die eine Hälfte der Vorrichtung ist hier, die andere befindet sich noch immer sicher in Tramontana. Und wenn wir sie nicht bauen, werden es andere tun, die keine Skrupel bei ihrer Anwendung haben werden!«
    Asharra erhob sich vom Boden, hielt die Pläne fest umklammert und entgegnete bestimmt: »Eher werde ich das bisher Gebaute vernichten, bevor ich zulasse, daß eine solche Zerstörungskraft entfesselt wird.«
    »Du bist unfähig, den wahren Sinn in dieser Angelegenheit zu erkennen!« Corus stürmte auf sie zu, so als ob er sie noch einmal schlagen wollte. »Du wirst augenblicklich den Turm verlassen, und bis du das Tor passiert hast, wird jeder deiner Schritte überwacht. So lautet mein Befehl als Bewahrer dieses Turms. Ich werde deine ständige Fragerei und Aufsässigkeit nicht länger dulden! Wenn es das ist, wozu dich Varzil ermuntert hat, dann ist es nur gut, daß er tot ist!«
    Asharra bebte vor Zorn, als er ihr die Pläne aus den Fingern riß. Mit einem Mal durchzuckte sie die Versuchung, ihn mit ihrer Alton-Gabe anzugreifen und ihn zu zwingen, seine Gedanken vor ihr bloßzulegen. Aber das käme einer Vergewaltigung gleich, würde allem widersprechen, was Varzil sie gelehrt hatte und woran sie glaubte. Also widerstand Asharra dieser Gefühlsregung. Auch jetzt bewährte sich Varzils Vorbild.
    Sie ließ es geschehen, daß man sie zu ihrem Zimmer brachte, wo sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Bereits eine Stunde später saß sie, eingehüllt in einen dicken Reisemantel, auf einer alten, klapprigen Stute. Kein Luftzug regte sich, nur der Boden war mit einer feinen Schicht frisch gefallenen Schnees bedeckt. Ein paar Wolken glitten über den nächtlichen Himmel, getaucht ins sanfte Licht dreier Monde.
    Asharra hielt den Kopf hoch erhoben. Corus mochte glauben, er könne sie demütigen, indem er sie unter völliger Mißachtung ihres Ranges und Standes mitten in der Nacht allein und ohne würdige Begleitung davonjagte. Er mochte glauben, sie würde zu ihrer Familie zurückkriechen, um dann an irgendeinen Emporkömmling verschachert zu werden, der so darauf erpicht war, bei den Altons einzuheiraten, daß er selbst sie noch nehmen würde.
    »Nein«, schwor sie sich insgeheim, »ich werde nicht nach Armida zurückkehren, sondern nach Hali gehen, so wie Raimond Lindir es mir angeboten hat. Was immer geschehen mag, Varzils Traum darf nicht sterben!«
     
    Vor Kälte und Erschöpfung wie betäubt stand Asharra eine Stunde nach Sonnenuntergang vor den Toren Halis. Sie brauchte einige Zeit, um die Kraft zu finden, an der Klingelschnur zu ziehen. Auf ihrem beschwerlichen Weg hatte es Tage gegeben, da nur die Wut auf Corus MacAran und die anderen Narren sie aufrecht hielt und vorantrieb. Die letzten Meilen war sie zu Fuß gegangen, nachdem ihr Klepper zusammengebrochen war.
    Jetzt reckte sie ihr zierliches Kinn in die Höhe und sprach zu dem verschlafenen Türsteher. »Ich bin Asharra Alton, Unterbewahrerin vom Neskaya-Turm, und ich bin gekommen, um auf Einladung von Raimond Lindir hier zu dienen.«
    Die fürsorgliche Frau, die den Haushalt in Hali leitete, brachte Asharra ohne viel Umschweife in einen geheizten Raum, versorgte sie reichlich mit Essen und steckte sie dann unter drei Daunendecken ins Bett, ohne auch nur ein Wort der Erklärung hören zu wollen.
    Während Asharra schlief, schweiften ihre Gedanken im formlosen Grau der Oberwelt umher. Hier spürte sie keinen Schmerz, keinen Hunger oder Durst, keine Mattigkeit der Glieder. Ihr Körper erschien ihr so leicht wie eine Feder. In einiger Entfernung sah sie eine menschliche Gestalt, die ihr nur zu vertraut war, die sich aber von ihr fortbewegte.
    Sie erkannte Varzil sofort.
    Es war immer gefährlich, sich in der Oberwelt aufzuhalten, besonders dann, wenn man erschöpft und von Sorgen erfüllt war. Asharra sehnte sich danach, Varzil zu folgen, bei ihm zu sein, sein Gesicht zu sehen und seine Stimme zu hören – und sei es auch ein letztes Mal. Aber sie wußte auch, daß sie vielleicht auf ewig in der Oberwelt umherirren würde, wenn sie versuchte, ihm zu
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