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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit
Autoren: Carlos Castaneda
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nicht mehr, und ich werde sie dir nicht mehr anbieten. Denn wenn du es wert bist, ein Krieger-Wanderer zu sein, dann wirst du mir ins Gesicht spucken, wenn ich dir meine Hilfe anbiete. Von einem gewissen Punkt an ist das Alleinsein die einzige Freude eines Krieger-Wanderers. Ich würde ebensowenig wollen, daß du mir hilfst. Wenn du ein würdiger Krieger-Wanderer bist, dann sei makellos! Widme dich deiner Welt. Ehre sie und beschütze sie mit deinem Leben!« Er entfernte sich von mir. Der Augenblick hatte nichts mehr mit Selbstmitleid, Tränen oder Glück zu tun. Er bewegte den Kopf, als wolle er sich von mir verabschieden oder als wolle er mir zeigen, daß er wusste, was ich empfand.
    »Vergiß das Ich, und du wirst nichts fürchten, gleichgültig, auf welcher Ebene des Bewusstseins du dich befindest«, sagte er.
    In einem Anflug von Unbeschwertheit wollte er mich zum letzten Mal necken. »Ich hoffe, man wird dich lieben!« sagte er, hob die Hand in meine Richtung, streckte die Finger wie ein Kind und drückte sie dann gegen die Handfläche. »Ciao!« sagte er.
    Ich wusste, es war vergeblich zu trauern oder etwas zu bedauern. Das Bleiben war für mich so schwer wie für Don Juan das Gehen. Wir waren beide in einem unabänderlichen energetischen Manöver gefangen, das keiner von uns verhindern konnte. Trotzdem wollte ich mich Don Juan anschließen und ihm folgen, wohin er auch gehen mochte. Ich dachte daran, daß er mich vielleicht mitnehmen würde, wenn ich starb.
    Dann sah ich, wie sich Don Juan Matus, der Nagual, an der Spitze seiner fünfzehn anderen Seher auf den Weg machte. Es waren seine Gefährten, seine Schützlinge und sein Stolz. Einer nach dem anderen verschwand im Dunst der Mesa in Richtung Norden. Ich sah, wie sich jeder in einen leuchtenden Tropfen verwandelte. Sie stiegen zusammen auf und schwebten über der Hochebene wie Phantomlichter am Himmel. Einmal umkreisten sie den Berg, so wie es Don Juan angekündigt hatte. Es war ein letztes Schauen, das, was nur für ihre Augen bestimmt war. Es war ihr letzter Blick auf die wunderbare Erde. Dann waren sie verschwunden. Ich wusste, was ich tun musste. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Ich rannte, so schnell ich konnte, auf
    den Abgrund zu und sprang über den Rand. Ich spürte einen Augenblick lang den Wind in meinem Gesicht, und dann umgab mich die tröstliche Schwärze wie ein sanfter friedlicher unterirdischer Fluß.

 
Die Rückkehr
    Undeutlich hörte ich das Aufheulen eines Motors. Offenbar ließ jemand seinen Wagen im Leerlauf auf vollen Touren laufen. Ich dachte, die Parkplatzwächter reparieren ein Auto auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude, in dem sich mein Büroapartment befand. Das Geräusch wurde so laut, daß ich schließlich aufwachte. Im stillen verfluchte ich die jungen Leute, die den Parkplatz beaufsichtigten, weil sie ihren Wagen direkt unter meinem Schlafzimmerfenster reparierten. Mir war heiß. Ich war verschwitzt und müde. Ich setzte mich auf den Bettrand und hatte sehr schmerzhafte Krämpfe in den Waden. Ich rieb die Muskeln einen Augenblick lang. Sie waren so verspannt, daß ich befürchtete, schreckliche Prellungen zu haben. Ohne weiter darüber nachzudenken, wollte ich ins Bad, um ein Einreibemittel zu holen. Doch ich konnte nicht gehen. Mir wurde schwindlig, und ich stürzte zu Boden. Das hatte ich noch nie erlebt. Als ich wieder ein Mindestmaß an Kontrolle gewonnen hatte, fiel mir auf, daß ich mir wegen der Wadenkrämpfe nicht die geringsten Sorgen machte. Ich war schon immer beinahe ein Hypochonder gewesen. Ungewöhnliche Schmerzen in meinen Waden, wie ich sie jetzt hatte, hätten bei mir normalerweise größte Ängste und Verwirrung ausgelöst.
    Ich stand auf, um das Fenster zu schließen, obwohl ich das Motorengeräusch nicht mehr hörte. Ich stellte fest, daß das Fenster geschlossen und es draußen dunkel war. Es war Nacht! Die Luft im Zimmer war verbraucht, und ich öffnete das Fenster. Ich konnte nicht begreifen, warum ich das Fenster geschlossen hatte. Die Nachtluft war kühl und frisch. Auf dem Parkplatz stand kein einziges Auto. Ich dachte, das Motorengeräusch muss wohl von einem Wagen gekommen sein, der auf der engen Straße zwischen dem Parkplatz und dem Gebäude Vollgas gefahren war. Ich machte mir darüber weiter keine Gedanken, ging zum Bett zurück und wollte wieder schlafen. Ich legte mich quer und ließ die Füße auf dem Boden. Ich wollte in dieser Lage schlafen, um die Zirkulation in den schmerzenden
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