Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
einem Kalender. Die Uhr sei ein Geschenk ihrer Tochter. Sie sagte mir auch die Uhrzeit: 3:15 morgens.
    Ich bestellte ein Steak und Eier, Kartoffelpüree und gebutterten Toast. Als sie mich verließ, um die Bestellung der Küche zu geben, erfaßte mich eine neue Welle des Entsetzens. War es vielleicht nur eine Einbildung gewesen, daß ich am Vortag in der Abenddämmerung in jenen Abgrund in Mexiko gesprungen war? Aber selbst wenn der Sprung nur eine Illusion gewesen sein sollte, wie hätte ich innerhalb von nur zehn Stunden von einem so abgelegenen Ort nach L. A. zurückkehren können? Hatte ich zehn Stunden lang geschlafen? Oder war ich zehn Stunden lang nach Los Angeles geflogen, geglitten oder auf welche Weise auch immer zurückgekommen? Es stand außer Zweifel, daß ich nicht auf normale Weise von der Stelle, an der ich in den Abgrund gesprungen war, nach Los Angeles hätte gelangen können. Ich hätte i A allein zwei Tage gebraucht, um von dem Berg mit dem Abgrund nach Mexiko City zurückzukehren. Ein anderer seltsamer Gedanke drängte sich mir auf. Wieder hatte ich die klare Quasierinnerung daran, bereits zuvor gestorben und wieder lebendig geworden zu sein, und dasselbe Empfinden, mir selbst völlig fremd zu sein. Die Kontinuität meines Daseins war unwiderbringlich zerstört. Auf die eine oder andere Weise war ich wirklich am Grund der Schlucht gestorben. Es war unmöglich zu begreifen, daß ich am Leben war und bei Ship’s frühstücken wollte. Ich konnte nicht in meine Vergangenheit blicken und die ununterbrochene Folge von Ereignissen sehen, die wir alle sehen, wenn wir in die Vergangenheit blicken.
    Ich hatte nur eine Erklärung, ich war Don Juans Anweisungen gefolgt. Ich hatte meinen Montagepunkt in eine Position verschoben, die meinen Tod verhinderte. Und aus meiner inneren Stille war mir die Rückkehr nach L. A. gelungen. Eine andere Erklärung gab es für mich nicht. Zum ersten Mal überhaupt war dieser Gedankengang für mich durchaus akzeptabel und völlig zufriedenstellend. Er erklärte nichts, aber beschrieb ein pragmatisches Vorgehen, das ich in abgeschwächter Form bereits ausprobiert hatte. Dieser widersinnige Gedanke schien mein ganzes Wesen zu beruhigen. Lebhafte Gedanken stellten sich ein. Sie besaßen die einzigartige Fähigkeit, bestimmte Fragen zu klären. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß, berührte etwas, mit dem ich mich die ganze Zeit herumgeschlagen hatte. Don Juan hatte dazu gesagt, es sei bei den Männern unter den Zauberern üblich. Es ging dabei um die Unfähigkeit, mich an das zu erinnern, was geschehen war, während ich mich im Zustand des erweiterten Bewusstseins befand.
    Don Juan hatte erweitertes Bewusstsein als eine winzige Verschiebung meines Montagepunkts erklärt, was ihm jedesmal gelang, wenn ich ihn aufsuchte, indem er mir kräftig auf den Rücken schlug. Er hatte mir mit solchen Verschiebungen geholfen, Energiefelder zu aktivieren, die sich normalerweise an der Peripherie meines Bewusstseins befanden. In anderen Worten, die Energiefelder, die sich normalerweise am Rand meines Montagepunktes befanden, standen während der Verschiebung im Mittelpunkt. Eine Verschiebung dieser Art hatte zwei Konsequenzen für mich. Ich bekam eine außergewöhnliche Klarheit im Denken und Wahrnehmen, und wenn ich in den normalen Bewusstseinszustand zurückgekehrt war, konnte ich mich nicht mehr an die Ereignisse in dem anderen Bewusstseinszustand erinnern. Meine Beziehung zu meinen Gefährten war ein Beispiel für diese beiden Konsequenzen gewesen. Ich hatte Gefährten, Don Juans andere Schüler, Begleiter auf meiner letzten Wanderung. Ich verständigte mich mit ihnen nur im Zustand des erweiterten Bewusstseins. Die Klarheit und Ausrichtung unserer Verständigung war ausgezeichnet. Der Nachteil bestand für mich jedoch darin, daß ich in meinem alltäglichen Leben nur quälende Quasierinnerungen an sie hatte, die mich durch Ängste und Erwartungen zur Verzweiflung trieben. Ich konnte sagen, in meinem normalen Leben war ich ständig darauf gefaßt, daß jemand plötzlich vor mir auftauchte, vielleicht aus einem Bürogebäude, vielleicht an einer Straßenecke, und mit mir zusammenstieß. Wohin ich auch ging, meine Augen hielten ständig und zwanghaft nach Leuten Ausschau, die es nicht gab, die andererseits aber so wirklich waren wie niemand sonst.
    Während ich an jenem Morgen bei Ship’s saß, wurde alles, was ich im Zustand des erweiterten Bewusstseins in den Jahren mit Don
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher