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Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller
Autoren: Arno Strobel
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war froh darüber.
    Meine Gedanken kreisten um den Mann, der auf der Rücksitzbank neben meinem Partner saß. Dr. Joachim Lichner. Ich hatte gehofft, ihn nie wiedersehen zu müssen. Mit seinem plötzlichen Auftauchen war auch sofort wieder dieses seltsame Gefühl da, das mich damals noch lange nach seiner Verurteilung verfolgt hatte. So gut wie alles hatte darauf hingedeutet, dass Lichner das kleine Mädchen umgebracht hatte. Neunundneunzig Prozent. Aber hätten die Beweise auch ausgereicht, wenn Menkhoff nicht so besessen gewesen wäre von dem Gedanken, Joachim Lichner hinter Gitter zu bringen? Wenn es diese zarte Frau mit den langen, schwarzen Haaren nicht gegeben hätte? Oder wenn ich damals den Mumm gehabt hätte –
    »Fahr vor den Eingang«, unterbrach Menkhoffs Stimme meine Überlegungen, als wir auf das gigantische gelbe Dach des Tivoli zufuhren und ich direkt davor rechts abbog. »Ich hab keine Lust, mit dem Kerl noch einen Spaziergang über den Platz zu machen.«
    Neben dem Eingang des Präsidiums war ein Parkplatz zwischen zwei Streifenwagen frei. Der Pförtner hinter der Scheibe nickte uns zu und entriegelte mit einem Knopfdruck das Schloss der Glastür. »Hier sieht es ja noch genauso trist aus wie vor 15 Jahren«, bemerkte Lichner, als wir im inneren Eingangsbereich standen.
    »Das hängt damit zusammen, dass wir es hier noch immer fast ausschließlich mit tristen Gestalten zu tun haben«, knurrte Menkhoff und bugsierte den Mann zur Treppe auf der linken Seite.
    Im dritten Stock öffnete Oberkommissar Marco Egberts uns die Glastür, die den Teil des Flurs, in dem die Büros der Mordkommission lagen, vom Rest trennte. Als Menkhoff Lichner an ihm vorbeischob, sah Egberts dem Psychiater mit eisigem Blick nach. »Ich hab eben gehört, ihr habt einen Entführungsfall? Die eigene Tochter?«
    »Mal sehn.« Mir war nicht nach langen Erklärungen zumute. Egberts würde sowieso gleich alles erfahren. »Stimmt es, dass das dieser Psychiater ist, der damals das kleine Mädchen umgebracht hat?«
    »Wir sind im Verhörraum, Marco«, antwortete ich.
    Unser Verhörzimmer war ein Büroraum, in dem außer einem Schreibtisch mit Telefon, Tastatur und Monitor ein einfacher, quadratischer Tisch mit weißer Kunststoffoberfläche und drei schlichte Holzstühle standen, an der Wand ein altmodisches Sideboard mit dem Drucker darauf. Hier drinnen waren es noch mindestens 30 Grad, eine Klimaanlage gab es nicht. In den meisten Büros halfen wir uns mit Tischventilatoren aus, aber ausgerechnet im Verhörzimmer stand keiner.
    Menkhoff drückte den Psychiater auf einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber, Egberts blieb neben der Tür an der Wand stehen.
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. »Also dann«, hörte ich von schräg hinter mir, »fangen wir nochmal von vorne an.«
    »Fangen Sie alleine an, Herr Hauptkommissar«, antwortete Dr. Joachim Lichner. »Ohne Anwalt sage ich dieses Mal kein Wort.«

8
    14. Februar 1994
    Das Gelb von Dr. Lichners Haus erinnerte mich an die Farbe der würfelförmigen Duftsteine in Kneipenklos. Ich suchte die Front nach den schmutzigen Fenstern ab, die die alte Frau erwähnt hatte, aber sie waren alle blitzsauber. Ein mit hellen Natursteinen gepflasterter, geschwungener Weg führte durch den kleinen Vorgarten zur breiten Holzeingangstür. Ein graviertes Messingschild war rechts daneben angebracht:
    Dr. med. Joachim Lichner
    Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie
    Öffnungszeiten:
    Mo, Di, Do: 8.00–12.00 & 13.30–16.30 h
    Mi, Fr: 8.00–12.00 h
    »Er hat seine Praxis im Haus.« Menkhoff versuchte, die Tür aufzudrücken. Sie war verschlossen.
    Ich sah auf meine Armbanduhr. »Kurz nach zwölf, Mittagspause.«
    Menkhoff zuckte mit den Schultern und klingelte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde.
    Die Frau als gutaussehend oder hübsch zu beschreiben wäre ihr nicht gerecht geworden. Eine ganz eigene, schüchterne Schönheit schimmerte durch den Schleier aus Melancholie, der sie zu umgeben schien. Ich versuchte ihr Alter zu schätzen und kam zu dem Schluss, dass sie etwa Mitte zwanzig sein musste. Das glatte schwarze Haar floss zu beiden Seiten an ihrem Gesicht vorbei und reichte über die schmalen Schultern bis fast zur Taille. Ihre helle, fast weiße Haut stand dazu in reizvollem Kontrast, sie wirkte wie zerbrechliches Porzellan. »Oberkommissar Menkhoff, guten Tag.« Die Stimme meines Partners hatte einen Unterton, wie ich ihn nicht von ihm
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