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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen
Autoren: dtv
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hatte, aber noch bevor die Suchaktion anlief – muss Ihr Sohn das Haus im Wald aufgesucht haben. Den Grund dafür kann ich nur erraten. Vielleicht hielt Christine sich öfter bei dem verlassenen Haus auf, und Uwe hoffte, er würde sie dort vorfinden. Doch er fand sie nicht. Stattdessen hörte er gedämpfte Schreie, scheinbar aus dem Innern der Erde. Er glaubte,seinen Ohren nicht zu trauen. Ich vermute, dass er vollkommen panisch und mit endgültig zerrüttetem Verstand nach Hause zurückkehrte, sodass Sie ihn kurze Zeit später in eine Klinik einweisen ließen.«
    »Ich weiß nichts von dem, was der Junge angeblich gehört haben will«, sagte Rudolf Zirner leise. »Seit jenem Tag hat er kein Wort mehr gesprochen. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen beziehen – vielleicht ist es Ihnen gelungen, den Jungen aufzustöbern, oder Sie haben das Klinikpersonal bestochen, um seine Akte einzusehen   … Was Journalisten eben so tun. Mir ist es gleichgültig. Uwe ist nicht mein Sohn und war es nie, und der Aussage eines Verrückten, der schon als Kind Stimmen hörte, wird niemand Gewicht beimessen.«
    »Wohl aber der Tatsache, dass in der Sickergrube ein Leichnam versteckt ist«, erwiderte Lea, »und dass außer Ihnen niemand von dieser Grube wusste.«
    Zirner warf ihr einen abschätzigen Blick zu. »Sie sind also nach wie vor entschlossen, die Polizei zu rufen?«
    »Natürlich bin ich das!«, fauchte Lea. Sie verdrehte den Kopf und versuchte Kai anzusehen, dessen schraubstockartiger Griff ihr kaum Bewegungsfreiheit ließ. »Es sei denn, ihr beide wollt mich auch noch umbringen und in irgendein Erdloch stopfen.«
    »Lea!«, mahnte Kai. »Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«
    »Ich bin mir nicht mehr sicher, was ich von dir glauben soll!«, erwiderte Lea. »Du deckst deinen Onkel um jeden Preis, nicht wahr? Schließlich erbst du sein Vermögen und das Haus.«
    »Schluss damit!«, zischte Kai und packte sie noch fester. »Das geht dich nichts an, Lea! Vorläufig will ich nur verhindern, dass du eine Dummheit machst, bevor Rudi außer Landes ist.« Er suchte den Blick seines Onkels.»Rudi? Am besten fährst du jetzt los. Ich komme spätestens morgen Abend nach. Bis dahin habe ich dir den besten Anwalt besorgt, den ich auftreiben kann – und einen Arzt, der uns bescheinigt, dass du nicht haftfähig bist. Hast du deine Herzmedikamente eingepackt?«
    Rudolf Zirner nickte und klopfte auf die Brusttasche seines Sakkos. »Mach dir keine Sorgen.«
    Der alte Mann nickte, öffnete die Haustür und verschwand. Die Tür blieb halb offen stehen. Kühle Nachtluft drang herein.
    Lea kämpfte erneut gegen Kais Klammergriff.
    »Es wäre alles viel einfacher, wenn du dich endlich entschließen könntest, Vernunft anzunehmen«, mahnte Kai. »Warum willst du die Polizei rufen? Diese Christine wird nicht wieder lebendig, wenn du Rudi in Untersuchungshaft bringst.«
    Von draußen war das Aufheulen eines Motors zu hören: Ein Wagen fuhr an und entfernte sich mit quietschenden Reifen.
    »Lass mich los, Kai!«, verlangte Lea energisch. »So fort !«
    Er schüttelte stumm den Kopf, schob eine Hand in ihre Jackentasche und tastete nach ihrem Handy, um es an sich zu nehmen.
    »Was hast du vor?« Zum ersten Mal spürte sie angesichts seiner Entschlossenheit echte Furcht in sich aufsteigen, dennoch bemühte sie sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Wirst du mich zum Schweigen bringen? Geht deine Loyalität zu deinem Onkel so weit, dass du einen Mord begehen würdest, um ihn zu schützen?«
    »Red keinen Unsinn!«, zischte Kai. »Du wirst jetzt in die Ferienwohnung gehen und dort bleiben, zumindest bis morgen früh. Ich schließe dich ein.«
    »Und wenn ich mich weigere?«
    Statt einer Antwort begann er langsam rückwärts zu gehen und sie mit sich zu schleifen. Wütend packte sie seinen Arm, der quer über ihrer Brust lag, grub ihm sämtliche Nägel ins Fleisch und trat mit den Füßen um sich.
    »Hör auf!«, schrie Kai, halb erschrocken, halb vor Schmerz. Einen Augenblick rangen beide um die Oberhand. In diesem Moment war draußen erneut Motorengeräusch zu hören: Ein Wagen näherte sich, offenbar im Schritttempo, als suchte der Fahrer im Dunkeln nach einer Hausnummer. Der Lichtkegel eines Scheinwerfers fiel durch die halb geöffnete Haustür in den Flur.
    »Hilfe!«, schrie Lea aus Leibeskräften. Doch Kai hielt ihr den Mund zu und schleifte sie verbissen rückwärts, während er mit dem Fuß die Tür der Ferienwohnung
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