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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen
Autoren: dtv
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Zirner schnaubte verächtlich. »Er war ein schamloser Hund, vollkommen skrupellos und in Verführungskünsten weit besser bewandert als im Umgang mit Leinwand und Pinsel. Wahrscheinlich tröstete er sich mit seinen Eroberungen über die Sinnlosigkeit seiner parasitären Existenz hinweg.«
    »Und Sie haben die Vaterschaft nie angefochten?«
    Zirner senkte den Blick. »Nein. Ich unterließ es Karin zuliebe, weil sie mich unter Tränen darum bat. Ich war großmütig. Ich nahm dieses Kind als mein eigenes an. Ich verzieh meiner Frau – und vielleicht hätte ich sogar diesem Dorf-Casanova verziehen, wenn es mir nur vergönnt gewesen wäre, ein eigenes Kind zu haben.«
    »Aber das war doch nicht Martin Herforths Schuld!«
    »Nein?«, fauchte Zirner. »Und was war der Grund, warum meine Frau sich nach Uwes Geburt nicht mehr von mir anfassen lassen wollte?«
    Lea lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter, um ihn nicht zu reizen. Vielleicht, dachte sie, hatte Frau Zirner bei Martin Herforth etwas bekommen, was ihr Ehemann ihr nicht bieten konnte.
    »Aber Ihre Frau wurde doch noch einmal schwanger«, sagte sie schließlich. »Sie sagten, dass Sie bei einer Fehlgeburt starb.«
    »So war es«, bestätigte Rudolf Zirner. »Fast zwölf Jahre, nachdem dieser Kerl unsere Ehe mit einem Kuckuckskind belastet hatte, durfte ich endlich hoffen, ein eigenes Kind zu bekommen. Doch meine Hoffnung wurde zunichtegemacht – abermals zunichtegemacht von Martin Herforth.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Lea stirnrunzelnd. »Wovon sprechen Sie?«
    Zirners Gesicht blieb unbewegt. »Toxoplasmose«, sagte er. »Eine Krankheit, die von freilaufenden Katzen übertragen wird. Karin hat die Katzen der Herforths gefüttert, die im ganzen Dorf umherstreiften, obwohl ich es ihr immer wieder verboten hatte. Es war zwecklos, sie tat es trotzdem. In jenem Herbst muss sie sich angesteckt haben. Von diesem Zeitpunkt an war das Schicksal meines ungeborenen Kindes besiegelt. Die Ärzte erklärten mir später, dass diese Krankheit in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft nahezu unausweichlich zu einer Fehlgeburt führt.«
    »Wussten Sie, dass die Katzen gar nicht krank waren? Der Erreger wurde von Gätner und dem Tierarzt Frank Terhart in Umlauf gebracht, in der Absicht, die Schuld auf die Herforths zu schieben!«
    »Unsinn!«, schnaubte Zirner. »Das hat Martin Herforth behauptet, ich weiß – was für eine billige Ausflucht!« Er packte seine Reisetasche fester und ergriff die Klinke der Haustür. »Sie verstehen überhaupt nichts! Martin Herforth belastete mein Leben mit einem Kind, das nicht das meine war. Er nahm mir das Kind, das ich hätte haben können – und er nahm mir meine Frau. Es ist nur gerecht, dass auch er sein einziges Kind verlor.«
    » Das
war der Grund, warum Sie Christine getötet haben?«, fragte Lea ungläubig. »Um es ihrem Vater heimzuzahlen?«
    »Nicht nur.« Zirner verharrte, die Klinke in der Hand. »Sie haben dieses Mädchen nicht gekannt. Christine war genau wie ihr Vater: eine Verführerin, gewissenlos und zu allem Unglück auch noch schön. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr hat Uwe ihr nachgestellt. Stellen Sie sich das vor: Er begehrte seine eigene Halbschwester!«
    »Aber das war doch nicht Christines Schuld!«, unterbrach ihn Lea.
    »Ach, nein?«, fuhr Rudolf Zirner wütend auf. »Dieses kleine Luder lief doch schon mit sechzehn wie eine billige Nutte herum, immer dick geschminkt, mit hautengen schwarzen Hosen und klapperndem Schmuck! Mir ist egal, wie man so etwas nennt, Punk oder Gothic oder was weiß ich. Für mich ist es schlicht ordinär und geschmacklos – und es verfehlte seine Wirkung nicht. Vielen Jungen im Dorf hat Christine die Köpfe verdreht, aber auf Uwe übte sie offenbar einen besonderen Reiz aus. Kein Wunder, schließlich entstammten sie beide demselben verdorbenen Blut. Ich selbst habe gesehen, wie sie auf einer Lichtung im Wald beisammensaßen. Ich habe eingegriffen und Uwe Hausarrest erteilt.« Er schnaufte unwirsch. »Vielleicht hätte es mir gleichgültig sein sollen. Schließlichwar Uwe nicht mein Sohn   …, aber er war Karins Sohn und das Einzige, was mir von ihr geblieben war.«
    »Haben Sie Ihrem Sohn gesagt, dass Christine seine Halbschwester war?«
    »Oh ja.« Zirner nickte mit finsterem Blick. »Meine Frau hatte es stets vor ihm geheim gehalten, doch nachdem sie gestorben war, wollte ich, dass der Junge erfuhr, wer ihren Tod verschuldet hatte. Ich sagte ihm
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