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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh
Autoren: Matthias Praxenthaler
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mit.
    Kaum hatte man jedoch die Türe zum Zentralbereich aufgestoßen, war es mit dem Frieden auf der Stelle vorbei. Zumindest, was die Männertoilette betraf. Und die benutzte Billy für gewöhnlich. Er konnte der ganzen Situation einfach nichts Schönes abgewinnen. Zwar gab es bestimmt Männer, die beim Urinieren unter Gleichgeschlechtlichen eine Art spirituelle Verbrüderung vollzogen, aber für ihn stellte sich die Angelegenheit eher leidenschaftsleer dar. Es war doch so: man stand eingepfercht in einem Raum, der komplett durchgekachelt war, in dem es grundsätzlich ordentlich stank, und wo einfach jeder Mann glaubte, im Garten Eden zu sein, weil man endlich furzen, rülpsen und rotzen konnte, wie es einem gerade kam. Die Mischung aus Geräusch und Gestank auf einem öffentlichen Herrenabort war für Billy immer und überall Folter. Und auf der A3 am Rasthof Würzburg war das nicht anders.

Krumme Sachen.
    Billy knöpfte seine Jeans auf und legte los. Dabei war er übrigens froh, daß außer ihm gerade kein anderer Asphalt-Cowboy beim Strullern war, denn bei Billy dauerte das Ganze immer etwas länger und passierte auch nicht mit der tosenden Nachdrücklichkeit eines normalen jungen Mannes. Warum das so war, wußte er lange Zeit nicht. Er wußte nur, daß es irgendwie nervt, wenn man dringender muß, als mankann. Deshalb suchte er schließlich und im verdächtig niedrigen Alter von 20 Jahren einen Urologen seines Vertrauens auf. Er wollte seine mißliche Lage einmal unverbindlich mit einem Profi durchsprechen. Der Leidensdruck war halt groß. Man wußte ja nie bei so was.
    Der Herr Doktor gab sich betont verständnisvoll und griff umgehend in seine medizinische Trickkiste. »Uroflowmetrie« nannte sich die diagnostische Methode, die er hervorzauberte und sofort im Anschluß an das Beratungsgespräch von einer Schwester durchführen ließ. Das ging wie folgt: Billy sollte sich locker machen und in einen Blechtrichter schiffen, der über einer gewöhnlichen Kloschüssel montiert war. Dort, wo die Flüssigkeit in den zylindrischen Teil des Trichters lief, befand sich nun eine flexible Klappe, die sich je nach Druck mehr oder weniger weit öffnete und mit einem Computer verbunden war. So konnte man im Anschluß an die Sauerei ein exaktes Diagramm ausdrucken, in dem die durchlaufende
Urin menge
mit der
Zeit
des Urinierens
an sich
in Beziehung gesetzt wurde. Herauskam der sogenannte »Uroflow-Index«, und der lag bei Billy bei erstaunlichen 0,88.
    »Wenn Sie jetzt in Rente gehen würden«, klärte ihn der Arzt anhand der Ergebnisse auf, »wäre das ein tolles Ergebnis. Aber so haben Sie wohl ein kleines Problem.«
    »Und woran liegt das?« wollte Billy wissen.
    »Das haben wir gleich«, antwortete der Arzt und griff zu seinem Ultraschallgerät.
    Keine drei Minuten später hatte er das Geheimnis gelüftet.
    »Sehen sie hier«, sagte er zu Billy und deutete dabei auf seinen Bildschirm. »Das ist die Harnröhre. Normalerweise ist die gerade. Aber bei ihnen ist die so krumm wie eine Krüppelkiefer.«
    »Dann bin ich ja beruhigt«, sagte Billy und zog seine Hose wieder hoch.

George Michael.
    Billy lernte mit seinem kleinen Problem zu leben. Machen konnte man dagegen sowieso nichts. Vertretbare Medikamente gab es nach Aussage des Arztes nicht wirklich, und für die operative Begradigung seiner Harnröhre fühlte er sich noch ein bißchen zu jung. Den Spaß wollte er sich lieber für die Zukunft als Pensionär aufsparen. Ab einem gewissen Alter fiel da unten eh noch genug anderes Zeug an, dann würde sich ein Eingriff auch richtig lohnen. Außerdem tat das Ganze nicht weh und war auch sonst nicht sonderlich lästig.
    Die einzige Situation allerdings, in der Billy seine urologische Behinderung verfluchte, war beim gemeinschaftlichen Pinkeln unter Männern. Da war es ihm einfach peinlich, wenn er mit einsatzbereitem Glied vor der wartenden Schüssel stand und unendlich lange Momente rein gar nichts passierte, während es die Kollegen neben ihm nur so sprudeln ließen. Da konnte er noch so genau wissen, daß es mit absoluter Sicherheit kommen würde, am Ende, irgendwann. Was es dann ja auch immer getan hatte, in der Vergangenheit, bisher. Aber die unerträgliche Stille bis zum ersten Strahl gab Billy stets das Gefühl, als Mann nicht voll funktionstüchtig zu sein, wenn es darauf ankam.
    Nun war es also mal wieder soweit. Billy mußte und er wußte dabei, daß die Peinlichkeit eine Gefahr des Lebens ist, die keine Pause macht.
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