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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz
Autoren: Joerg Kastner
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verhelfen.
    Einen, auf dem keine Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden.«
    Ich hatte ihm aufmerksam zugehört, und ich sah den bittenden Ausdruck auf seinem Gesicht. Er schien es ehrlich zu meinen, und doch fragte ich mich, ob ich ihm trauen konnte. Ourida spürte meine Gewissensqual und sagte: »Hör auf dein Herz, Bastien, nicht auf deinen Verstand! Wenn die Menschen nicht mehr auf ihr Herz hören, dann hat Allâh sich wirklich von ihnen abgewandt.«
    Ich dachte an meine Kindheit und sah mich wieder auf dem Hof des Bauern; sah, wie er mit seinen kräftigen Händen auf mich eindrosch, als wollte er mir das Leben aus dem Leib prügeln. Ich spürte wieder die Todesangst – und die unendliche Erleichterung, die beim Erscheinen von Abbé Jean an ihre Stelle trat. Zum ersten Mal seit dem Tod meiner Eltern war jemand für mich eingetreten, hatte sich um mich gesorgt, mich wie einen Menschen behandelt, mehr noch, wie einen geliebten Menschen.
    Erinnerungen an die Zeit im Kloster kehrten zurück, an die Gemeinschaft, in der ich mich geborgen gefühlt, in der ich Freunde gefunden und viel über die Welt gelernt hatte. Immer war Abbé Jean für mich dagewesen, hatte ein wachsames, aber gütiges Auge auf mich gehabt. Nach dem Verlust des Klosters war aus dem Ab-bé mein Onkel geworden, meine Familie. Er hatte weiterhin für mich gesorgt, mir das Studieren ermöglicht und mein zeichnerisches Talent gefördert. All das nur, um eines Tages über mich an das Wahre Kreuz zu gelangen? Mein Verstand hielt das für möglich, aber mein Herz sagte entschieden nein.
    Ich reichte ihm meine rechte Hand, und er schlug ein.
    »Ich bin sehr froh, dich nicht verloren zu haben, Bastien!«
    »Das bin ich auch«, sagte ich und sah Ourida an.
    »Wieso kann mein Onkel uns nützlich sein?«
    »Weil das Versteck des Wahren Kreuzes von franzö-
    sischen Soldaten bewacht wird. Sein Wort gilt doch einiges bei ihnen.«
    »Ja«, sagte ich verwirrt. »Aber was ist das für ein Versteck, das Bonapartes Soldaten bewachen?«
    »Du kennst es gut«, sagte Ourida.
    Mir dämmerte es, und ich rief: »Also doch der Tempel!«
    »Ja, die Zuflucht. Da liegt das Kreuz verborgen.«
    »Ich habe diese Vermutung schon Scheik Jussuf gegenüber geäußert, aber er wollte darauf nichts sagen.«
    Ourida lächelte hintergründig. »Er wußte nicht, wie weit er dir trauen konnte. Jahrhunderte der Gefahr schüren das Mißtrauen.«

39. KAPITEL
    Der Todesengel
    ls das orangerote Licht der Morgensonne verblaß-
    A te und zusehends in ein milchiges Blau überging, setzten wir uns in Bewegung: neun Krieger der Abnaa Al Salieb, Ourida, Onkel Jean und ich.
    Wir führten einige Pack- und Ersatzpferde mit uns und waren allgemein gut ausgerüstet. In der Burg gab es einen Brunnen, dem wir pralle Wasserschläuche ver-dankten. Wahrscheinlich war die Wasserquelle der Grund gewesen, aus dem die Römer einst ihre Festung an dieser Stelle errichtet hatten. Auch unsere Essens-und Futtervorräte hatten wir aus denen der Ordensritter ergänzt. Die schlechteren Pferde der Ritter sowie einige Ziegen und Hühner ließen wir in den Ställen zurück. Bonapartes Soldaten würden sich über eine unerwartete Fleischration freuen, und für Pferde hatte die Armee immer Verwendung.
    Anfangs kamen wir wegen des felsigen Geländes nur mühsam voran, aber je länger wir unterwegs waren, desto leichter ging es. Ein enger Einschnitt zwischen zwei Felswänden bot uns in der Mittagszeit einen schattigen Rastplatz. Wir versorgten die Pferde und stärkten uns dann selbst. Mein Onkel spürte, daß mein Blick auf ihm ruhte. »Beschäftigt dich etwas, Bastien?«
    »Ich frage mich die ganze Zeit, wie Sie mir aus Kairo heraus folgen konnten, ohne daß ich oder die Wachtposten Sie bemerkt hätten. Schon ich mußte höllisch aufpassen, nicht gesehen zu werden.«
    »Das mußte ich nicht. Ich konnte die Posten dank dieses Schreibens ganz offen passieren. Bonaparte hat es für mich ausgestellt, damit ich meinen Forschungen nachgehen kann, ohne jeden örtlichen Kommandanten um Erlaubnis fragen zu müssen.«
    Er zog ein zusammengefaltetes Papier aus einer Rocktasche und reichte es mir. Ich faltete es auseinander und las:

    Dem Inhaber dieses Schreibens, dem Bürger Jean Cordelier, Mitglied des Instituts von Ägypten, ist es gestattet, sich je derzeit frei und ungehindert zu bewegen.
    Das gilt auch für Zeiten einer möglichen Ausgangssper-re. Des weiteren sind alle französischen Truppenteile und Verwaltungsorgane sowie alle
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