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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Autoren: Shani Boianjiu
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Gasmasken aufzusetzen.
    »Avishag, du machst das völlig falsch«, brüllt mich die Kommandantin an. »Völlig falsch.«
    Sie zieht eines von den schwarzen Gummibändern fester, und meine Haare werden dermaßen straff nach hinten gezogen, dass es sich anfühlt, als wollte mir jemand Haarbüschel ausreißen. Nur dass derjenige nicht mehr loslässt. Die Maske soll genau so bleiben.
    Mit den Masken sehen wir alle aus wie Körper von Soldaten mit Köpfen von Roboterhunden. Der große graue Filter ist lang gestreckt wie eine Schnauze. Durch die Sonne wird der schwarze Kunststoff ganz heiß und die Hitze wird nach innen abgegeben. Das pure Plastik vor meinen Augen ist staubig, und die Welt ist gerahmt und fern wie ein dreckiges, billiges Sandbild, egal, wo ich hinschaue, überall Sand, nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
    Die Kommandantin schreitet die Reihe ab und bricht Minibananen aus Plastik auf. »Jede von euch hat in ihrer ABC-Ausrüstung ein paar von diesen kleinen Bananen. Wenn ihr die aufbrecht und die Bananen riechen könnt, schließt eure Maske nicht richtig.«
    Ich spüre, wie die Adern an meinem Hinterkopf hervortreten. Als die Kommandantin wedelnd mit den Minibananen an mir vorbeigeht, rieche ich es. Bananen. Bananen und Sand.
    »Ich rieche Bananen und –«, sage ich. Meine Stimme vibriert hinter der Maske. Sie lassen mich im Stich, die Worte. Ich will reden. Ständig. Über Dan. Über Dinge, die Yael gesagt hat und die ich noch immer nicht verstanden habe. Über die Bananenfelder rings um unser Dorf, wenn sie brennen. Über alles. Ich bin eine Idiotin. Als würde es irgendwen interessieren, was ich denke.
    »Keiner hat dir erlaubt zu reden«, brüllt die Kommandantin. »Sieh zu, dass eine von deinen Freundinnen dir hilft«, sagt sie. Sie nennen die anderen Soldatinnen »deine Freundinnen«. Ich hasse das. Das sind andere Soldatinnen, nicht meine Freundinnen. Sogar meine Mutter hat gesagt, zur Armee gehst du nicht, um Freunde zu finden. Lass dir nichts vormachen. Du siehst ja, was mit Dan passiert ist.
    Die Kommandantin lässt immer zwei auf einmal ins Zelt. Meine Partnerin ist ein hochgewachsenes Mädchen namens Gali. Wir sehen, wie eins von den beiden Mädchen, die vor uns rein sind, die Zeltplane hoch reißt und ins Freie rennt, als würde sie brennen, aus ihrem Mund läuft Spucke, aus der Nase kommt etwas Grüngelbes, ihre Augen sind feucht und geschlossen. Ihr Mund steht beim Rennen weit offen und sie hat die Arme seitlich ausgestreckt. Sie rennt immer weiter, und ihre kleine grüne Gestalt wird zu einem Fleck am menschenleeren Horizont.
    Gali lacht, und ich auch. Ich wusste von Sarit, Leas großer Schwester, dass das Tränengaszelt der erste Ort war, wo Oberleutnants mit den Rekrutinnen auf Tuchfühlung gehen konnten. Sie stellten ihnen immer dieselben vier Fragen:
    Liebst du die Armee?
    Liebst du dein Land?
    Wen liebst du mehr, deine Mutter oder deinen Vater?
    Hast du Angst vor dem Tod?
    Die Oberstleutnants haben ihren Spaß dabei, weil sie diese Fragen einmal stellen, wenn der Soldat die Maske auf hat, aber dann noch einmal, wenn der Soldat ohne Maske im Tränengaszelt steht, und sie zusehen können, wie er in Panik ausbricht. Das ist das Ziel der Übung. Man soll lernen, bei einem atomaren, biologischen oder chemischen Angriff nicht in Panik auszubrechen. Ich finde das einfach nur sinnlos. Das habe ich Sarit auch gesagt; ich sagte, »Na, wenn das so ist, können sie auch auf uns schießen, damit wir wissen, wie sich das anfühlt, findest du nicht?«, aber darauf meinte sie nur, »Klugscheißer«. Wenn wir das Gefühl haben zu ersticken, dürfen wir aus dem Zelt rennen. Sarit hat gesagt, sie erwarten, dass man so lange wie möglich durchhält. Ich fragte, »Was heißt, so lange wie möglich?«, und sie fragte zurück, »Wie lange kannst du unter Wasser atmen?«
    Wir sind dran.
    Gali und ich bücken uns unter der Plane durch ins Zelt. Drinnen ist es dunkel und so heiß, dass ich das Gefühl habe, die Knöpfe der Uniform würden sich in meine Handgelenke einbrennen. Ich kann es fühlen. Und ich kann es sehen. Das ganze Zelt ist voller Gift. Ich weiß es, aber mit der Maske kann es mir nichts anhaben. Ich fühle mich wie eine Betrügerin.
    Seltsamerweise kann man die Kommandantin durch die Gasmaske gut erkennen. Wie sie dasteht, die Arme hinterm Rücken, die Hand am Gewehr. Sie reckt das Kinn weit nach oben. Sie fängt mit Gali an. Gali macht sich noch länger und reckt ebenfalls das Kinn
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