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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Autoren: Shani Boianjiu
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Zelten wieder zurück. Und zwar ohne Kontaktlinsen. Ist das klar?«, brüllt sie.
    »Zu Befehl, Kommandantin«, schreien die Mädchen, ihre Uhren piepen. Sie rennen los. Eine Staubwolke begleitet die schnellen Schritte ihrer Stiefel.
    »Hand hoch, wer Asthma hat«, brüllt die Kommandantin des Rekrutenlagers.
    Keines der Mädchen hebt die Hand.
    »Hat eine von euch Asthma?«, brüllt die Kommandantin noch einmal.
    »Nein, Kommandantin«, schreien die Mädchen.
    Ich schreie nicht. Ich habe nicht kapiert, dass ich das soll, schließlich habe ich ja schon die Hand unten gelassen.
    »Hast du Asthma, Avishag?«, brüllt sie, den Blick auf mich gerichtet.
    »Nein, Kommandantin«, rufe ich.
    »Dann antworte gefälligst«, sagt sie. »Mach den Mund auf, genau wie alle andern, damit ich dich hören kann.«
    Im Rekrutenlager der israelischen Streitkräfte, in dem ich die Grundausbildung absolviere, dem einzigen Rekrutenlager für Frauen der Infanteriekampftruppe, wissen wir nie, was uns erwartet, wenn wir bei einer bestimmten Frage die Hand heben. Ich am allerwenigsten, weil ich die Erste von den Mädchen in meiner Klasse war, die eingezogen wurde, und darum hatte ich keine Freundinnen, die mir Infos hätten geben können, und mein Bruder Dan hat nie mit mir über die Armee gesprochen, auch nicht, als er noch am Leben war. Es hat mich dermaßen genervt, wenn mich Leute nach seinem Tod fragten, ob ich immer noch vorhätte, zur Armee zu gehen, dass ich mich freiwillig für die Kampftruppe gemeldet habe, nur damit die Leute aufhörten zu fragen. Ich wollte, dass die Leute ein für alle Mal aufhörten zu fragen.
    In meinem Rekrutenlager kann man nichts voraussehen. Vor einer Woche sollten wir die Hand heben, wenn wir weniger als fünfzig Kilo wogen. Dann sollten wir die Hand heben, wenn wir jemals eine Nadel geteilt oder kurz vor der Einberufung ungeschützten Sex gehabt hatten. Schwer zu sagen, wie man das deuten sollte. Die Armee wollte unser Blut. Und zwar zwei Liter, aber in der Zeit, in der man die Nadel im Arm stecken hatte, bekam man Kool-Aid mit Erdbeergeschmack und Weißbrot. Die selbst ernannten Nutten und Junkies verteilten beides an die Mädchen, die mit den Fäusten pumpten, damit das Blut schneller rausschoss.
    »Schneller«, rief die Kommandantin.
    »Meine Hand fühlt sich an, als wäre da Eis drauf«, sagte eine von den Soldatinnen. »Wie erfroren.« Sie lag auf dem Feldbett gegenüber. Ich wollte nach ihrer Hand greifen, damit ihr nicht so kalt war, damit ich nicht so allein war. Es ging nicht. Weil ich eine Nadel im Arm hatte, und weil es falsch gewesen wäre. Meine Mutter hat gesagt, wenn ich nach der Grundausbildung einen guten Posten will, muss ich lernen, mein loses Mundwerk im Zaum zu halten. Meine Mutter war früher Offizierin, jetzt ist sie Geschichtslehrerin und so. Ein paar Wochen nach Dans Tod ist sie nach Jerusalem gezogen, aber dann musste sie doch zurückkommen und mir bei den Vorbereitungen für die Armee helfen. Alleinerziehende Mütter müssen immer zurückkommen.
    Das Mädchen im Feldbett neben mir dreht durch. Sie hat den Arm mit der Nadel von sich weggestreckt, als wäre er verflucht. Sie wurde rot im Gesicht. »Ich glaube, mir wird zu viel Blut abgenommen. Kann mal jemand kommen? Kann sich mal jemand ansehen, ob es zu viel Blut ist?«
    Ich wusste, ich sollte lieber den Mund halten.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie. »Ich will das hier nicht.«
    Sie sah sehr jung aus. Schließlich habe ich doch was gesagt. »Alles in Ordnung«, sagte ich.
    Da fuhr die Kommandantin dazwischen. »Keiner hat dir erlaubt zu reden«, brüllte sie.
    Ich war die Einzige, die eine Strafe bekam. Als für alle anderen Duschzeit war, musste ich ein Loch in die trockene Erde graben, tief genug für einen Felsbrocken so groß wie fünf Köpfe. Die Kommandantin sagte, der Felsbrocken sei ein Symbol für meine »Schande«. Sie grinste, als sie das erklärte. Keins der Mädchen half mir. Sie standen einfach bei den Duschen an, da im Sand, und schauten zu.
    Heute will uns die Armee zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man erstickt. Darum haben sie nach Kontaktlinsen und Asthma gefragt. Heute ist ABC-Tag. Atomar, biologisch, chemisch. Da muss jeder Soldat durch, nicht nur die Mädchen der Kampftruppe, haben sie gesagt. Aber für uns ist es besonders wichtig, weil wir bei einem nicht-konventionellen Angriff funktionstüchtig bleiben müssen.
    Wir stehen in einer Zweierreihe auf einem Sandhügel. Wir helfen uns gegenseitig, die
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