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Das verwunschene Tal

Das verwunschene Tal

Titel: Das verwunschene Tal
Autoren: Hans Kneifel
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Caer-Soldat den Kopf und schlug den hochgestellten schweren Kragen zurück. »Caers Blut!« flüsterte er. »Hufschlag. Irgendwo reitet ein Rasender!«
    Alles in dieser Nacht war dazu angetan, ihn das Fürchten zu lehren. Das kleine Heer unter Feithearns Führung kam geschlagen und demoralisiert aus dem verwunschenen Tal zurück, und nun lagen die Kameraden fiebernd und stöhnend in ihren Quartieren.
    Jetzt dieses Hufgetrappel! Jemand ritt in rasendem Galopp. Der Posten hob beide Hände an den Mund und rief dem nächsten Schatten auf der Mauer eine Frage zu. »Hörst du es auch?«
    Jeder Schritt, jedes laut gesprochene Wort weckte in der Stadt unter der Mauer vielfältigen Widerhall.
    »Was soll ich hören?«
    »Dort draußen reitet jemand über gefrorenen Boden. Horch!«
    »Ich höre nichts!«
    Andere Posten vernahmen den Wortwechsel und wurden aufmerksam. Von beiden Seiten erschollen Fragen. Zum Schluss rief der Caer, der die Geräusche zuerst gehört hatte und jetzt ganz klar unterscheiden konnte: »Euch hat die Kälte dumm und taub gemacht! Hört ihr nichts, ihr Narren? Ein Reiter kommt, und er ist nicht zu sehen. Feithearn wird euch bestrafen, wenn ihr nicht handelt. Los! Greift zu den Bogen!«
    Seine letzten Worte wurden durch einen grässlichen, langgezogenen Laut unverständlich gemacht. Auf der Ebene heulte schaurig ein Wolf auf. Jeder von ihnen hatte mehr als genug Wölfe heulen hören. Aber dieser Laut war ganz anders.
    Er ließ jedem, der es hörte, einen eisigen Schauer das Rückgrat hinunterlaufen. Wieder schrie der Wolf auf - mit einer kraftvollen und fordernden Stimme. Der Schrei war voller Wut und Gier, voll Angriffslust und Stärke.
    Das Hufgetrappel wurde lauter. Und plötzlich sahen sie es alle: Ein einzelner Reiter stob in einem schnellen Galopp auf die Stadtmauer zu. Er tauchte ganz plötzlich auf, vielleicht hinter einer Bodenwelle oder hinter reifbedecktem Gesträuch. Ein drittes, nicht weniger schauerliches Geräusch mischte sich in Wolfsgeheul und Hufgetrappel: der krächzende Jagdruf eines Falken.
    Sie sahen den Vogel unmittelbar darauf. Ein schneeweißes Tier, das über dem Kopf des einsamen Reiter schwebte. Das Licht der Sterne und des Mondes lag auf dem Körper und den Schwingen. Die Augen schienen zu glühen wie Rubine.
    Der Wolf war grau und zottig wie alle Wölfe dieser Welt. Verglichen mit allen anderen aber war er riesengroß. Er reichte dem Reiter bis zu den Knöcheln. Das Reittier war schwarz. An seiner Stirn leuchtete wie ein flammender Speer das weiße Horn. Und der Reiter war der Königssohn Hester.
    Hester ritt auf dem schwarzen Einhorn auf Nyrngor zu!
    Ein Posten schrie durch das Wolfsgeheul und die gellenden Schreie des Schneefalken: »Es ist Hester! Er reitet das Einhorn!«
    Die entsetzten Rufe setzten sich kettenförmig fort. In den Häusern wurden Türen aufgerissen, die Stadtbewohner verstanden die Worte, und neue Hoffnung tauchte ganz vage auf.
    »Hester reitet das Einhorn!«
    Die Posten, denen noch ein Rest klarer Verstand geblieben war, beobachteten das seltsame Gespann. Der Wolf verließ seinen Platz an der rechten Seite des Reiters nicht. Der Falke blieb stets an derselben Stelle. Eine Speerlänge über dem Kopf des Einäugigen flatterte er dahin. Das Einhorn trug keinen Sattel, aber der Junge saß hinter dem Hals des Tieres, sich an der Mähne festhaltend, als sei er dort festgeschmiedet. Das Tier ahnte jeden seiner Befehle.
    Jetzt änderte die Gruppe ihre Richtung. War sie zuerst geradewegs auf die Mauern des nordöstlichen Stadtteils zugaloppiert, schwenkte sie nun nach links und bewegte sich längs der Mauern.
    Einige Caer griffen in die Köcher und legten mit klammen Fingern Pfeile auf die Sehnen ihrer Bogen. Sie zielten gut, aber keiner der Pfeile traf auch nur annähernd sein Ziel. Fluchend sahen die Posten, wie die Spukgestalten dahinfegten, von jedermann deutlich zu erkennen.
    Mitten auf der freien Fläche zwischen den beiden offenen Toren hielt Hester durch einen unhörbaren Befehl das Einhorn an.
    Das Zaubertier erhob sich und stand breitbeinig auf den Hinterbeinen. Die Hufe der Vorderbeine schlugen einen rasenden Wirbel durch die Luft. Wieder begannen sich die Posten zu fürchten. Fast jeder von ihnen war ein guter Reiter. Aber noch nie hatte es eines ihrer Pferde geschafft, sich so lange und so kraftvoll aufzubäumen.
    Hester hob in einer drohenden Geste einen Arm. Sein langer Mantel flatterte von seinem Rücken wie ein dunkles Leichentuch.
    Er ballte
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