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Das verwunschene Tal

Das verwunschene Tal

Titel: Das verwunschene Tal
Autoren: Hans Kneifel
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die Hand und schüttelte sie, nicht weniger drohend, gegen die Stadt Nyrngor. Damit meinte er die Caer und Feithearn, nicht die Bürger hinter den Mauern. Noch immer stand das Einhorn da und wirbelte die Hufe durch die eisige Luft.
    Es warf sich auf den Hinterbeinen herum und galoppierte davon, kaum dass die Hufe den hartgefrorenen Boden berührt hatten.
    Der Wolf und der weiße Falke folgten dem Reiter, der das Einhorn in einer weiten Kurve von den Mauern wegführte und mit rasendem Hufschlag wieder irgendwo dort in der reifbedeckten Einöde der Felder und Weiden verschwand.
    Ein Posten rannte die Treppen des Turmes hinunter. Der Schrecken saß ihm im Nacken. Er rannte durch die halbe Stadt. Jeder Nyrngorer, der ihn sah, erschrak: Dem Mann stand die nackte Furcht im Antlitz. Er lief, um Feithearn zu berichten, was er eben mit eigenen Augen gesehen hatte.
    In dieser Nacht wurde in Nyrngor das Gerücht geboren, dass Hester die Stadt von den Besetzern befreien und dem alten Königsgeschlecht seines Vaters Carnen wieder zu seinem Recht verhelfen werde.
    Der Zauberpriester hörte schweigend und nur scheinbar ruhig, was der Posten berichtete.
    Er nickte und entließ den verwirrten und erschöpften Mann.
    Feithearn wusste jetzt, dass er seine zweite Niederlage erlitten hatte.
    Eine dritte, schwor er sich zitternd vor Hass und Wut, würde er nicht mehr hinnehmen. Duldamuur, sein Dämon, beruhigte ihn und erfüllte ihn mit Zuversicht und neuer Stärke. Was war schon ein Halbblinder mit drei Tieren, die ihm gehorchten? Ein Heer von Caer-Soldaten vermochten sie nicht zu ersetzen, und sie hatten auch der dämonischen Kraft aus der Schattenzone nichts entgegenzusetzen.
    *
    Schlaftrunken fuhr Elivara auf. Ihre Hand zuckte nach dem langen Dolch, aber eiskalte Finger legten sich auf ihren Arm.
    »Ich bin es, Dhorkan«, sagte das geschwärzte Gesicht hinter der Kerzenflamme leise. »Ich habe alles mit angesehen!«
    Elivara richtete sich auf. Der Schlaf lähmte ihre Glieder. Sie befanden sich im Kellerversteck von Sceythes Taverne. »Was hast du gesehen?« fragte sie schlaftrunken.
    Dhorkan wirkte fast wie ein Caer. Beinahe jedes Stück seiner Ausrüstung war überfallenen Soldaten abgenommen worden. Sein Fellmantel und er selbst verströmten die Kälte der Nacht. Hier, im Gewölbe, war es leidlich warm, und unter den Decken und Fellen war es noch wärmer.
    »Unglaubliche Dinge!« sagte er, und ein breites Grinsen, nicht frei von Furcht allerdings, erschien auf seinem harten Gesicht.
    »Erzähle!«
    »Ich war im Schutz der Dunkelheit auf dem Ostturm. Der Caer sah und hörte mich nicht, ich war nicht auf der obersten Plattform. Heute nacht hat dein Bruder den Caer einen höllischen Schrecken eingejagt.«
    Er berichtete, dass auch er fernen Hufschlag gehört, die Aufregung der Soldaten miterlebt und schließlich Hester auf einem schwarzen Einhorn, geleitet von einem Wolf und beschützt von einem schneeweißen Falken, gesehen hatte. Dann lachte er heiser auf und goss sich Wein in den Becher. »Und als sich das Einhorn aufbäumte, schüttelte Hester, ausgerechnet Hester, den wir als halb blind und geistesschwach kennen, wütend die Faust gegen die Caer auf den Mauern. Feithearn wird abermals fluchen und zittern. Erst diese Niederlage und dann das. Auf dem Weg durch die Stadt bin ich in vielen Häusern gewesen.«
    »Ja?«
    »Ich habe ein Gerücht in die Welt gesetzt. Nun. eigentlich ist es kein Gerücht, sondern die Wahrheit. Bei Tagesanbruch weiß es jedes Kind in der Stadt. Hester wird zum neuen Fanal des Widerstandes, zusammen mit seiner Schwester - aber du befindest dich ja nicht offiziell in der Stadt.«
    »Dabei wollen wir es auch belassen«, sagte sie und seufzte. »Nur die Rebellen dürfen es wissen. Mein armer Bruder. draußen in der Kälte, ohne Hilfe, mit diesen Tieren. Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
    Dhorkan lachte heiser auf und antwortete in sicherem Tonfall: »Ein halb blinder, scheinbar geistesschwacher Junge, der eine Tierarmee befehligt und nachts auf einem Einhorn die Caer erschreckt, Königin! Ich glaube nicht, dass er schutzlos ist und erfriert oder verhungert. Vergiss den Hester von früher! Jedenfalls weiß ich eines: Wir werden mit ihm zusammen den Caer nicht nur ein paar unbehagliche Stunden verschaffen. Früher oder später jagen wir sie aus der Stadt.«
    Königin Elivara schwieg.
    Sie wusste, dass sich nun vieles geändert hatte. Aber sie teilte die Entschlusskraft ihres Hauptmanns nicht. Es war
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