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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck
Autoren: Dean R. Koontz
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schwirrten jetzt aufgeschreckt umher.
    Der schleudernde Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen, in leichter Schräglage. Offenbar war die linke vordere Ecke an einem Pfosten hängengeblieben. Einen Moment lang herrschte so tiefe Stille, daß Lindsey davon halb benommen war, bis sie ihr durch geräuschvolles Ausatmen ein Ende bereitete.
    Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie ein solch überwältigendes Gefühl der Erleichterung verspürt.
    Dann bewegte sich das Auto wieder.
    Es begann sich nach links zu neigen. Die Leitplanke gab nach, vielleicht durch Korrosion geschwächt oder durch die Erosion des Bodens in Mitleidenschaft gezogen.
    »Raus!« schrie Hatch, während er hektisch am Verschluß seines Sicherheitsgurts herumfingerte.
    Lindsey blieb keine Zeit mehr, ihren Gurt zu öffnen, geschweige denn, die Tür aufzustoßen und hinauszuspringen. Die Leitplanke zerbarst, und der Honda glitt in den Abgrund hinab. Und noch während es passierte, konnte sie einfach nicht daran glauben. Ihr Gehirn signalisierte das Herannahen des Todes, aber ihr Herz beharrte eigensinnig auf der Unsterblichkeit. Sie hatte sich im Laufe von fast fünf Jahren nicht an Jimmys Tod gewöhnt, so leicht würde sie sich nicht damit abfinden, daß ihr eigenes Ende unmittelbar bevorstand.
    Begleitet vom Scheppern der in die Tiefe stürzenden Leitplankenstücke, glitt der Honda seitwärts den vereisten Abhang hinab und überschlug sich, als es immer steiler wurde. Nach Atem ringend, mit rasendem Herzklopfen, im Sicherheitsgurt schmerzhaft von einer Seite zur anderen gezerrt, setzte Lindsey ihre ganze Hoffnung auf einen Baum oder Felsvorsprung, auf irgend etwas, das diesen Höllensturz aufhalten würde. Aber da war nichts. Sie hätte nicht sagen können, wie oft sich der Wagen überschlug – vielleicht nur zweimal –, weil oben und unten und links und rechts jede Bedeutung verloren. Ihr Kopf schlug so hart gegen das Dach, daß sie fast ohnmächtig wurde. Sie wußte nicht, ob sie nach oben geschleudert worden war oder ob das Dach eine tiefe Delle abbekommen hatte, deshalb versuchte sie sich in ihrem Sitz zu ducken, aus Angst, daß das Dach beim nächsten Überschlag weiter nachgeben und ihren Schädel zertrümmern könnte. Die Scheinwerfer zerschnitten die Dunkelheit, und aus den Wunden spritzten Schneeströme hervor. Dann zerbrach die Windschutzscheibe, und Lindsey wurde von den winzigen Splittern des Sicherheitsglases übersät. Von einer Sekunde auf die andere herrschte um sie herum totale Finsternis. Offenbar waren nun die Scheinwerfer ausgefallen, ebenso die Beleuchtung des Armaturenbretts, die sich eben noch in Hatchs schweißnassem Gesicht gespiegelt hatte. Der Wagen rollte wieder aufs Dach und schlitterte in dieser Position weiter in den scheinbar bodenlosen Abgrund, mit dem Donnern von tausend Tonnen Kohle auf einer Stahlrutsche.
    Die Dunkelheit war von nahtloser Schwärze, so als befänden Hatch und sie sich nicht im Freien, sondern in einer fensterlosen Geisterbahn, wo sie einen langen Tunnel hinabrasten. Sogar der Schnee, der doch normalerweise auch im Dunkeln noch leuchtete, war plötzlich unsichtbar. Kalte Flocken, vom eisigen Wind durch die zerbrochene Windschutzscheibe getrieben, peitschten ihr ins Gesicht, aber sie konnte sie nicht sehen, nicht einmal die, die an ihren Wimpern hängenblieben. Bei dem schrecklichen Gedanken, daß die Glassplitter ihre Augen verletzt haben könnten, mußte sie gegen eine aufsteigende Panik ankämpfen.
    Blindheit.
    Das war ihre größte Angst. Sie war Künstlerin. Ihr Talent wurde von dem inspiriert, was ihre Augen beobachteten, und ihre begnadeten Hände verwandelten diese Inspiration in Kunstwerke, angeleitet und kritisch überwacht von ihren Augen. Was sollte ein blinder Maler malen? Welche Hoffnung hatte sie, je wieder etwas zu schaffen, wenn sie plötzlich jenes Sinnes beraubt wäre, auf den sie am meisten angewiesen war.
    Gerade als sie losschreien wollte, stieß der Wagen auf den Boden der Schlucht auf und kippte wieder auf die Räder. Der Aufprall war weniger heftig, als sie erwartet hatte. Fast sanft, als wäre der Honda auf einem riesigen Kissen gelandet.
    »Hatch?« Ihre Stimme klang rauh.
    Nach dem entsetzlichen Lärm während der mörderischen Rutschpartie war sie halb taub, nicht ganz sicher, ob die übernatürliche Stille um sie herum Realität war oder nur Einbildung.
    »Hatch?«
    Sie schaute nach links, wo er hätte sein müssen, aber sie konnte ihn nicht sehen – auch sonst nichts.
    Sie war
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