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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Die zwei waren bestimmt ein schönes Hochzeitspaar gewesen, aber ich kann mir vorstellen, dass das Leben auch den schönsten Hochzeitspaaren den Garaus machen kann.
    Ich nahm mir Urlaub, um das tägliche Programm von Radeks Frau gründlich auszukundschaften. Von Radek wusste ich, dass sich seine Gattin um den Haushalt und um ein zwischen Häuserblöcken eingemauertes Gärtchen kümmerte und dass sie ein wenig Klavier spielte und mit dem Hund Gassi ging.
    Das ist, denke ich, reichlich wenig, um eine Frau ihres Alters zu beschäftigen, wenn du den ganzen Tag auf dem Friedhof bist.
    Da hast du recht. Aber ich habe im Volksbuchklub auch noch Bücher für sie abonniert. Heuer kam dort die „Geschichte eines wahren Menschen“ heraus, aber auch irgendein französischer Roman, „Madame Batory“ oder etwas in der Art.
    „Madame Bovary“?
    Das ist es. Eine gute Auswahl, nicht?
    Vermutlich schon. Obwohl, mich darfst du nicht fragen. Frag deine Frau.
    Lucie. Sie heißt Lucie.
    Die Hybešova ist eine ziemlich belebte Straße. In beide Richtungen, vom Bahnhof zum Mendelplatz und vom Mendelplatz zum Bahnhof, fahren dort Laster, die mit allem Möglichen beladen sind, von Kohle über Gemüsekisten bis zu Bierfässern aus der nahen Starobrno-Brauerei.Ich hatte mir ausgerechnet, welches Fenster im zweiten Stock zur Stolař-Wohnung gehörte, und postierte mich so, dass ich nicht wie auf dem Präsentierteller dastand, wenn die Wohnungsinhaberin oben am Fenster vorbeiging. Aber auch so wechselte ich meine Beobachtungsposten, versteckte mich das eine Mal – an einen geparkten Gemüselieferwagen gelehnt – hinter den Flügeln einer großformatigen Zeitung, in die ich mir für meine Blitzblicke zwei kleine Schießscharten gebohrt hatte, und stand dann wiederum in irgendeinem ungemütlichen Hauseingang, wo ich lange die senkrechte Reihe der Namensschilder neben den Klingelknöpfen studierte. Bis heute hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, dass dort Herrschaften mit so reizenden Namen wie Šuplík, Kančibuch oder Lepuvzdorná und Zápecník wohnten, also ein Herr Schublade, ein Herr Eberbums oder eine Frau Kleisterfest und ein Herr Spießer.
    Als ich gleich an jenem ersten Tag Lucie erblickte, registrierte ich, was die Fotografien aufzuzeichnen nicht imstande gewesen waren. Es handelte sich um eine schon auf den ersten Blick majestätische Bestie, ein königliches Biest, dessen edle Schönheit nur eine herrliche, aber durchsichtige Hülle war, hinter der es vor schleimigem Getier wimmelte.
    Sie kam mit einem großen zotteligen Hund heraus, ich glaube einem Tschuvatsch, und ich folgte ihnen leise. Durch die Václavská zum Mendelplatz und durch die Pekařská hinauf und weiter durch die Brünner Gassen, wo ihr fortwährend Blicke zugeworfen und nachgeschickt wurden, die sie jedoch sichtlich verschmähte (über die sie,wie man sagt, erhaben war). Sie ließ das endlose Defilee männlicher, aber auch weiblicher Blicke auf den Gehsteigen wie auch aus vorbeifahrenden Verkehrsmitteln an sich vorbeiziehen, und es sah aus, als würde sie sie vielleicht gar nicht bemerken. Dann ging sie wieder heim, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen mit irgendjemandem gewechselt zu haben, wenn ich die Verkäuferin in dem Feinkostladen nicht mitrechne, wo sie Brötchen, Butter, Schmelzkäse und etwas in einem winzig kleinen Schächtelchen kaufte, dessen Inhalt mir entgangen ist. Und obwohl ich während ihres gleichgültigen Spaziergangs nicht einmal den Anschein einer Reaktion auf einen der Männerblicke beobachtet hatte, wusste ich schon jetzt mit professioneller Sicherheit, dass nur Radeks athletische Figur fähig war, derart ausladende Hörner zu tragen, wie dieses göttliche Weibchen, diese wolllüstige Anima Mundi und Sexpriesterin sie ihm aufsetzte. Und schon am dritten Tag erhielt ich die Bestätigung meiner professionellen Einschätzung.
    Ich zündete mir gerade eine Zigarette an, so gedreht, dass mir der Wind nicht die Streichholzflamme stahl, als ich ihre Stöckelschuhe hörte. Sie ging, diesmal ohne ihren Zottel, zu einem Kurzwarengeschäft. Aber sie trat nicht ein, sie blieb davor stehen und wartete.
    Ich habe ein fotografisches Gedächtnis riesiger Dimensionen, man kann wohl zu Recht von einem mit aufgezeichneten Gesichtern randvoll gefüllten Speicher sprechen. Zum Teil sind sie zu einer Art System, na sagen wir, einer Gedächtniskartei geordnet. Das kommt daher, dass etwas in mir alles, worauf ich treffe, ununterbrochen ordnet,
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