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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Besitzer wendet. Wenn er also illegal doch mal einen Fall annahm, blieb ihm das Hochgefühl erhalten, das Bauchgrimmen hingegen verschwand, und in seinen Eingeweiden herrschte wieder ein harmonisches Verhältnis zwischen der somatischen und der psychischen Welt.
    Dan wohnte in der Orlí, der Adlergasse, in einem jener Mietshäuser mit Eckrisalit, in dem sich im zweiten Stock sein Schlafzimmer befand. Das teilte er dann zumeist mit einer schweigsamen Frau mit von Natur aus meliertem Haar. Genau dieser Farbton, zu jener Zeit etwas sehr Exotisches, hatte ihn zu ihr geführt. Er hatte ihr meliertes Haar einmal in einer belebten Straße erblickt, und in diesem Moment war es um Dan sofort geschehen gewesen, ungefähr so, wie es Odysseus ergangen wäre, hätte er sich nicht rechtzeitig Wachs in die Ohren gegossen und an den Mast fesseln lassen. Sie waren nicht verheiratet, lebten aber auch nicht in wilder Ehe oder, wie man es auch damals schon nannte, ohne Trauschein zusammen. Meli war verheiratet, sie gehörte einem ganz anderen Haushalt an. Und wenn sie ihn dann mit Dan teilte, handelte essich immer nur um geraubte Zeit, um gestohlene Stunden, und das auf so erfinderische Art und Weise, dass sogar die Beteiligten an dem berühmten großen Postzugraub vor Neid hätten erblassen können. Und darüber hinaus hatte Dan mit Melis Wissen weitere Frauen. Es bestand eine sehr seltsame Beziehung zwischen ihnen – aber mehr davon ein andermal.
    Die Verkaufsstelle der Konsum-Fleischerei lag nicht weit von Dans Wohnhaus entfernt, buchstäblich um die Ecke, und so hetzte er denn jeden Morgen dorthin, um dann nur noch von der nächsten ihn beflügelnden Schwarzarbeit zu träumen, aber die Zeit floss hoffnungslos dahin, bis eines Abends das Telefon läutete. Dan erhob sich vom Essen (Knödel mit Ei und frischem Salat vom nahen Krautmarkt) und eilte aus der Küche ins Vorzimmer, wo er auf das Blumentischchen zusteuerte. Und erst hier hielt er verblüfft inne. Er hatte nämlich nie ein Telefon gehabt (darüber verfügten zu jener Zeit unter Zivilisten nur Ärzte, Staatsbeamte und Direktoren sowie eventuell manche ihrer Stellvertreter). Einen Augenblick lang stand er nachdenklich da und kehrte dann zum Abendessen zurück.
    Ist was passiert?, erkundigte sich die von Natur aus melierte Frau.
    Aber nein. Das heißt, ich weiß nicht, was.
    Wieder die Bauchschmerzen?, fragte sie unerwartet. Nun, so unerwartet auch wieder nicht, weil Dan schon eine Zeit lang wusste, dass sie nicht nur dieses seltene von Natur aus melierte Haar hatte, sondern auch die Fähigkeit, Dinge zu wissen, die er ihr nie anvertraut hatte.
    Nein, es fehlt mir nichts.
    Und dann bemühte er sich, das Gespräch auf etwas anderes zu lenken. Tags darauf schickte ihn der Leiter der Konsum-Fleischerei mit einem rekommandierten Brief zur Post. Dort zeichnete man Dan die eingeschriebene Sendung ab, und er verließ gerade das Postgebäude, als jemand mit einem Holzpferd auf Rädern unter dem Arm aus der gegenüberliegenden Passage Alfa herauskam. Als der Betreffende Dan erblickte, erstarrte er sichtlich, blieb stehen und wandte den Blick nicht von ihm. Auch Dan war von der Begegnung überrascht, aber bestimmt bei Weitem nicht so wie sein Gegenüber. Eine Weile standen sie da, jeder auf seinem Gehsteig, und sahen einander an.
    Anschließend begleitete Radek Stolař Dan bis zur Konsum-Fleischerei und wartete, bis er dort mit dem Filialleiter gesprochen hatte, und dann setzten sie sich in die benachbarte Café-Konditorei, die sogar nach dem kommunistischen Umsturz immer noch Sedláček genannt wurde. Radek legte das Holzpferd auf den leeren Stuhl neben seinem, und während er ein aus den hölzernen Nüstern des Pferdes hervorstehendes verbogenes Nägelchen betrachtete, wurde ihm plötzlich lebhaft bewusst, wie weit weg sie schon vom Abitur im Königsfelder Gymnasium waren,
immortalia ne speres, monet annus et almum quae rapit hora diem – Unvergängliches nicht zu erhoffen, gemahnt dich das Jahr und die den erquickenden Tag hinwegraffende Stunde
, erinnerte er sich an zwei Horaz-Verse über die Vergänglichkeit der Zeit, welche ihm aus jenen fernen Schulbänken durch irgendein Versehen im Kopf haften geblieben waren.
    Radek Stolař wedelte mit hoch erhobener Hand, bis der Kellner, der sich in der leeren Garderobe mit der Garderobenfrau unterhielt, endlich geruhte sich zu nähern. Und als er dann für Dan und für sich bestellt hatte, fuhr er mit dem, was er unterwegs schon
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