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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: David Baldacci
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Mutter an.
    Auch Amanda hatte Jack entdeckt, der im unbarmherzigen Scheinwerferlicht starr und verrenkt am Boden lag. Für einen unglaublich langen Moment tauschten Mutter und Tochter einen Blick, der aber nur in eine einzige Richtung verlief. Vorwürfe, Zorn, Hass - all dieses Schreckliche erblickte Amanda auf dem Gesicht ihrer Tochter, und die Empfindungen legten sich so schwer über Amanda Cardinal wie eine Steinplatte, die auf ihre Gruft herabgesenkt wurde; das Empfinden war schlimmer als die Summe aller Albträume, die sie je durchlitten hatte. Als Lou sich von der Mutter abwandte, ließ sie ein menschliches Wrack zurück. Und als Amandas Augen sich endgültig schlossen, hörte sie Lou nur noch hysterisch nach ihrem Vater schreien.
    »Pa, komm zurück! Pa, verlass uns nicht!«
    Dann versank Amanda Cardinal im Nichts.

 
KAPITEL 3
    In dem gleichmäßigen Schlag der Totenglocke lag eine Art stille Frömmigkeit. Wie ein monotoner, trostloser Landregen bestrich der Klang die Umgegend, in der die ersten Bäume ausschlugen und das Gras sich nach der Ruhe des Winters wieder aufzurichten begann. Rauchwölkchen aus den Kaminen der kleinen Siedlung in der Nähe trafen sich am blauen Himmel zu einem friedlichen Stelldichein. Im Süden waren die steil emporragenden, berühmten Wolkenkratzer New Yorks zu erkennen. Doch vor dem majestätisch blauen Himmel verblassten diese steinernen Monumente, die von Millionen Dollars und Tausenden müder Rücken zeugten, zur Belanglosigkeit.
    Die große Natursteinkirche wirkte wie ein fester Anker, wie etwas, das unmöglich von der Stelle bewegt werden konnte, egal wie gewaltig die menschlichen Probleme waren, von denen ihr Portal bestürmt würde. Dennoch konnte dieser trutzige Fels in der Brandung für denjenigen, der sich ihm langsam näherte, Geborgenheit und Trost ausstrahlen. In seinem Innern erscholl hinter den dicken Mauern neben dem Läuten der Glocke noch ein anderer Klang.
    Christlicher Gesang.
    Die fließenden Klänge von »Amazing Grace« wogten das Mittelschiff hinunter und brandeten gegen die Porträts von Männern mit weißen Kragen, die einst die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht hatten, sich die Beichten der Gläubigen anzuhören und ihnen als Buße und für ihr Seelenheil ganze Rosenkränze von Gegrüßet-seist-du-Marias aufzuerlegen. Dann wogte die Welle des Liedes weiter, schwappte um Christusfiguren herum, die den Heiland sterbend am Kreuz zeigten oder wie er aus dem Grabe erstand, und brach sich endlich am Weihwasserbecken, das sich unmittelbar am Eingangsportal befand. Das Sonnenlicht drängte sich durch die kräftigen Farben der Glasfenster und übergoss Gläubige und Sünder gleichermaßen mit allen Schattierungen des Regenbogens. Die Kinder riefen angesichts dieses farbenprächtigen Spektakels stets voller Staunen Oooh! und Aaah! , bevor sie es widerstrebend auf dem Weg ins Kircheninnere durchschritten, zweifellos in dem Glauben, dass Kirchen vor allem dazu da seien, eine Fülle bunten Lichts hervorzubringen.
    Durch das eichene Doppelportal hörte man bis in den letzten Winkel der Kirche den Gesang des Chors, und der kleine Organist pumpte mit einer für sein Alter und seine schwächliche Konstitution erstaunlichen Energie in sein Instrument, was das Zeug hielt. »Amazing Grace« dröhnte immer lauter. Der Priester verharrte am Altar und hielt die langen Arme unverdrossen erhoben, wie um nach des Himmels Weisheit und Trost zu greifen. Ein stilles Gebet der Hoffnung erhob sich just in dem Moment von ihm, als die Woge des Kummers ihn zu überrollen drohte, die ihm von den Trauergästen entgegenschlug. Und an diesem Tag benötigte der Priester wahrhaftig besonders viel göttlichen Beistand, denn es war nicht immer einfach, Tragödien durch den Verweis auf Gottes Willen zu rechtfertigen.
    Der Sarg stand vor dem Altar. Das polierte Holz war bedeckt mit Wolken von Engelshaar, einem dicken Strauß roter Rosen und einigen wenigen, besonders schönen Schwertlilien, und doch blieb beim Anblick des massigen Mahagoni-Ungetüms einem jeden ein Kloß in der Kehle stecken. Jack und Amanda Cardinal hatten sich in dieser Kirche ihr Eheversprechen gegeben. Seitdem hatten sie das Gotteshaus nicht mehr betreten. Bis heute hätte niemand ahnen können, dass ihre Rücckehr knapp vierzehn Jahre später zu ihrer eigenen Totenmesse stattfinden würde.
    Lou und Oz saßen in der vordersten Reihe der voll besetzten Kirche. Oz hatte wie immer seinen Teddy an die Brust geknuddelt und
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