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Das Versprechen

Das Versprechen

Titel: Das Versprechen
Autoren: David Baldacci
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dem Höhepunkt seines Schaffens. So viele Geschichten bleiben nun unerzählt.«
    »Seid nicht traurig«, überlegte Lou sich schon die Antwort. »Habt ihr den Priester denn nicht gehört? Das ist eine Zeit der Freude. Der Tod ist schön. Der Tod ist gut. Kommt und singt mit mir.«
    Die Leute würden sie anstarren, unsicher lächeln und sich dann zurückziehen, um ihre »Freude« mit jemandem zu genießen, der weniger unverständliches Zeug brabbelte.
    Danach würden sie an das ausgehobene Grab gehen, an dem der Priester zweifellos noch weitere erbauliche Worte bereithielt, die Kinder segnete und die heilige Erde benetzte; dann würde das anderthalb Meter tiefe Loch mit gewöhnlicher schmutziger Erde aufgefüllt, und dieses widerliche Spektakel würde endlich ein Ende haben. Der Tod verlangte ein Ritual, weil die Gesellschaft es so wollte. Doch Lou hatte nicht vor, sich dieses Ritual jemals aufdrängen zu lassen. Sie musste sich jetzt um wichtigere Dinge kümmern.
    Jene beiden Männer, die in der Kirche hinter Lou und Oz miteinander geflüstert hatten, standen beisammen auf dem grasbewachsenen Parkplatz. Außerhalb des Kirchenraumes besprachen sie nun in normaler Lautstärke die ungewisse Zukunft der so arg geschrumpften Familie Cardinal.
    »Ich wünschte, bei Gott, Jack hätte uns nicht als Nachlassverwalter benannt«, seufzte der Ältere und zog ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche. Er zündete sich eine an und drückte das Streichholz zwischen Daumen und Zeigefinger aus. »Hab immer geglaubt, eher ins Gras beißen zu müssen als er.«
    Der jüngere Mann starrte betreten auf seine Schuhe, die auf Hochglanz poliert waren. »Wir können sie nicht einfach im Stich lassen«, sagte er, »in der Obhut fremder Menschen. Die Kinder brauchen jemanden - dringend.«
    Der andere blies Rauch in die Luft und blickte dem unförmigen Leichenwagen hinterher. Weit über ihnen bildete ein Schwarm Krähen eine lose Formation, ein letzter, formloser Gruß an Jack Cardinal. Der Mann stippte die Asche ab. »Kinder gehören in ihre Familie. Diese beiden haben aber keine mehr.«
    »Bitte, entschuldigen Sie.«
    Als die Männer sich umdrehten, standen Lou und Oz hinter ihnen und blickten sie an.
    »Aber wir haben doch noch Familie«, sagte Lou. »Unsere Urgroßmutter, Louisa Mae Cardinal. Sie wohnt in Virginia, wo mein Vater aufgewachsen ist.«
    Die Miene des jüngeren Mannes hellte sich auf, als wäre die Last der Welt - oder zumindest zweier Kinder - von seinen schmalen Schultern genommen worden. Der ältere Mann blickte erstaunt drein.
    »Eure Urgroßmutter? Die lebt noch?«, fragte er.
    »Meine Eltern haben kurz vor dem Unfall darüber gesprochen, zu ihr nach Virginia zu ziehen.«
    »Meinst du denn, dass sie euch nehmen würde, dich und deinen Bruder?«, hakte der jüngere Mann ungeduldig nach.
    »Sie wird uns nehmen«, war Lous prompte Antwort, obgleich sie in Wahrheit keine blasse Ahnung hatte, ob die alte Frau sich tatsächlich auf so etwas einließ.
    »Uns alle?« Die Frage kam von Oz.
    Lou wusste, dass ihr kleiner Bruder an die Mutter im Rollstuhl dachte. Und sie sagte mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, zu den beiden Männern: »Ja, uns alle.«

 
KAPITEL 4
    Als Lou aus dem Fenster des fahrenden Zuges blickte, kam ihr der Gedanke, dass sie eigentlich nie viel um New York City gegeben hatte. Klar, in ihrer Kindheit hatte sie die zahlreichen Angebote der Stadt genießen können, hatte sich die Zeit mit Besuchen in Museen und Tierparks und Theatern vertrieben. Sie hatte sich auf der Aussichtsplattform des Empire State Building über die ganze Welt erhoben, hatte gelacht und geschrien über die Possen der Stadtbewohner, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, hatte Szenen von großer emotionaler Intimität beobachtet und war Zeugin leidenschaftlicher Zurschaustellung öffentlicher Empörung geworden. Einige dieser Ausflüge in die Stadt hatte sie gemeinsam mit ihrem Vater unternommen, der ihr dabei öfters gesagt hatte, dass die Entscheidung für das Schreiben weniger mit der schlichten Wahl eines Berufs zu tun hatte als vielmehr mit der Entscheidung für eine Grundeinstellung dem Leben gegenüber. Und das Geschäft eines Autors, führte Jack behutsam weiter aus, war das Geschäft des Lebens an sich, sowohl in seinem erhebenden Glanz als auch in seiner komplizierten Zerbrechlichkeit. Und so war Lou auf diesen Erkundungszügen eine Eingeweihte geworden, ständig in Bann gezogen von der Belesenheit und
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