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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Grimes
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dass ich hier bin?«
    »Gar nicht. Ich wollte Miss Babbit sprechen.«
    »Okay, ich höre.« Das sagte ich mit einem gleichzeitigen Gähnen und tätschelte mir mit der Hand auf den Mund.
    »Morris Slade will mit dir reden.«
    Da hörte ich aber auf mit dem Gähnen! »Was?«
    »Er will mit niemandem reden außer mit dir. Du musst natürlich nicht.«
    Ich musste nicht? Der machte wohl Witze? Ich setzte eine ernste Miene auf, als würde ich es mir wirklich überlegen. Dann, nachdem ich ein bisschen mit Notizbuch und Bleistift herumgefummelt hatte, sagte ich feierlich: »Na gut, wenn Sie meinen, es hilft.«

62. KAPITEL
    Als Morris Slade von Donny in den Raum gebracht wurde, stand ich auf. Warum, weiß ich auch nicht, denn es wirkte wie ein Zeichen von Respekt.
    Der Sheriff zerrte mich wieder auf meinen Stuhl herunter.
    Morris Slade schmunzelte über diese kleine Einlage (meine nett gemeint, die des Sheriffs nicht) und setzte sich. Er sah zerzaust und schlafbedürftig aus, aber sonst so wie immer.
    Der Sheriff, der in diesem kleinen Raum für »Vernehmungen«, wie er mir gesagt hatte, neben mir saß, stellte Morris die erste Frage.
    Der behielt das Lächeln im Gesicht, schüttelte aber den Kopf. »Na, na, Sheriff DeGheyn. Ich sagte Ihnen doch, ich rede nur mit Emma.«
    »Ich lasse Sie aber nicht allein mit ihr.«
    »Moment mal!« Ich sprang wieder auf. »Das ist doch meine Sache …«
    Wieder zerrte er mich herunter. »Du bist zwölf, Emma. Das ist nicht deine Sache.«
    Morris Slade musterte ihn verwundert. »Glauben Sie, sie ist in Gefahr? Glauben Sie, ich greife gleich über den Tisch und erwürge sie?«
    Der Sheriff schüttelte kurz den Kopf. »Überhaupt nicht. Ich denke eher an eine Geiselsituation.«
    Geisel! Ich? Das wäre dann das zweite Mal, dass ich knapp am Tod vorbeischrammte. Ich sah die Szene bereits vor mir, in der Morris mich, eine Knarre im Rücken, aus dem Gerichtsgebäude eskortierte, dann in seinen roten Wagen … Oder stand der immer noch beim Brokedown House? Dann merkte ich, wie die beiden mich anschauten.
    »Guck nicht so erwartungsvoll, Emma«, sagte der Sheriff. »Das passiert schon nicht.«
    »Wieso haben Sie und Ralph Diggs sich am Brokedown House getroffen? Das ist doch so abgelegen. Da geht doch keiner mehr hin.« Niemand außer mir, sollte ich vielleicht sagen, und Mr Butternut.
    Er schaute mich an. »Deswegen ja.«
    »Sie meinen, damit niemand von Ihrem Treffen erfuhr? Oder dass Sie einander kannten?«
    Er nickte. »Oder damit ich nicht gefunden wurde. Fey sagte: ›Da kannst du liegen, bis du verrottest.‹«
    Ich fuhr erschrocken zurück. Ich spürte die ganze Wucht, mit der sein eigener Sohn es sagte. »Das ist furchtbar.«
    Der Sheriff legte die Hand auf meinen Arm, aber nicht zur Beruhigung. Ich vermute, um mich vom Reden abzuhalten.
    »Wir hatten ihn irgendwo ausgesetzt. Er war von der Bildfläche verschwunden. Er fand es nur richtig, dass mir das Gleiche passierte.«
    Der Sheriff sagte: »Ben Queen. Was ist mit Ben Queen?«
    Zunächst blieb er die Antwort schuldig. Dann beugte er sich zum Sheriff hin, die Arme auf dem Tisch. »Was wissen Sie über die Stadt der Tragödien?« Er hatte ein schiefes Lächeln.
    Ich war überrascht, dass er sich daran erinnerte, und verwirrt, dass er es zur Sprache brachte.
    Der Sheriff war ebenfalls verwirrt. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
    »Das weiß ich.« Morris lehnte sich zurück. »Ich habe Ihnen schon gesagt, was sich in dem Haus zugetragen hat. Ich wollte Fey die Waffe wegnehmen. Sie ging los. Und jetzt ist er tot.« Morris wischte mit der Hand über den Tisch. »Ich wollte ihn nicht töten.«
    Auf mich wirkte er unglaublich traurig, fast als würde es ihm das Herz zerreißen.
    »Sie glauben mir nicht.« Er schaute den Sheriff direkt an.
    Der sagte gar nichts, und ich konnte auch an seinem Gesicht nichts ablesen. Er war eben ein richtig guter Polizist.
    Morris Slade fragte, ob er rauchen dürfe.
    Der Sheriff nickte und schob ihm ein Päckchen Zigaretten hin, dann gab er ihm mit einem alten Klappfeuerzeug Feuer. Vielleicht wollte er nicht, dass Morris sich in die Tasche griff, oder vielleicht war er auch einfach bloß nett. »Warum wollte er Sie töten, Mr Slade? Das können Sie mir doch wenigstens sagen!«
    Morris Slade saß eine Weile rauchend da, wohl, um es sich zu überlegen. Das Warum spielte in der Geschichte eine große Rolle. Er sah mich an, dann meinte er: »Weil er wütend war, dass man ihn im Stich gelassen hatte. Mehr
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