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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Grimes
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mit einer großen Erbschaft oder so was zu tun. Meine andere Theorie war: Die Slades hatten die Entführung arrangiert, damit sie das Lösegeld kassieren konnten. Es hatte aber gar keine Lösegeldforderung gegeben.
    Miss Isabel Barnett wiederum hatte behauptet, sie hätte in den Kinderwagen geschaut, als die Slades in La Porte waren, um Arznei für das Baby zu besorgen. Sie hätte das Baby gesehen, beteuerte sie.
    Und jetzt behauptete Aurora Paradise, Miss Isabel hätte schon immer gelogen.
    Schweren Schrittes ging ich mit meinem Tablett und Auroras Glas die Treppe hinunter und dachte, wie schwer doch die Wahrheit zu erkaufen war.

2. KAPITEL
    Hinter dem Hotel befinden sich mehrere Gebäude: ein Cottage , wo wir früher gewohnt hatten, als wir noch klein waren, und das jetzt für Gäste reserviert ist, die getrennte Schlafzimmer wünschen. Und zwei Garagen, eine große und eine kleine. Die kleine ist jetzt voll mit ausrangierten Möbeln, leeren Farbkanistern und Bauholz. Die große Garage wurde früher für die Autos der Gäste benutzt und hatte Platz für mindestens zwanzig Fahrzeuge. Jetzt dient sie als Theater und Spielstätte für Wills und Mills Aufführungen.
    Mill heißt eigentlich Brownmiller Conroy. Genau wie sein Vater und sein Großvater. So gemein können Eltern gar nicht sein, dass sie sich so einen Vornamen ausdenken. Wir sagen einfach kurz Mill zu ihm.
    Im Inneren der großen Garage herrschte wie üblich großer Tumult. Und wie üblich senkte sich Stille wie ein Tuch über das Getöse, sobald ich anklopfte. Keine Ahnung, wie die das schafften, ich meine, wie wenn man einen Schalter ausknipst, alles zum Schweigen zu bringen. Will und Mill verlangten absolute Geheimhaltung. Niemand durfte vor der Inszenierung irgendetwas erfahren. Ich fragte mich, warum, und kam zu dem Schluss, dass sie jedes Stück ganz neu rausbringen wollten, so dass es wie die Weltpremiere anmutete. Als hätte bis zu dem Augenblick, in dem der Vorhang aufging, keiner wirklich gelebt und Sonne und Mond wären mit Scheuklappen am Himmel gestanden.
    Es nützte überhaupt nichts, an die Tür zu hämmern. Ich seufzte bloß und wartete ab. Widerstrebend ging schließlich die Seitentür auf, und Will erschien – das heißt, eine Gesichtshälfte erschien durch die Öffnung.
    »Was?«
    »Paul – seine Mutter sucht ihn.« Das war gelogen, was Will wahrscheinlich wusste, denn Pauls Mutter suchte ihn eigentlich nie, außer wenn es Zeit war, nach Hause zu gehen. »Was stellt ihr denn da mit ihm an?«
    »Nichts.«
    »He, lass mich rein.«
    »Nein.«
    Ich lächelte. »Okay, dann erzähl ich allen von eurem Bühnenbild mit dem Flugzeug.« An diesem Bühnenbild arbeiteten sie bereits, seit Medea, das Musical vor einer Woche unter donnerndem Beifall das letzte Mal, aufgeführt worden war. Will und Mill hatten mit der Inszenierung einen Haufen Geld verdient und die »Laufzeit« sogar verlängert (einer der zahlreichen Broadway-Show-Begriffe, die Will gern benutzte). Dann gaben sie ihr ganzes Geld aber drüben auf der anderen Seite vom Highway in Greg’s Restaurant an den Flipperautomaten und für Orange Crush und MoonPies aus.
    Dass ich zu sehen kriegte, wie sie Paul ins Cockpit des Flugzeugs geschnallt hatten, war reiner Zufall gewesen.
    Will war stinksauer. »Mein Gott! Du willst uns doch bloß erpressen.« Damit machte er die Tür auf und lief weg. Mir fiel auf, dass er seine Pilotenkappe gegen einen Zylinder ausgetauscht hatte.
    Das Flugzeug war inzwischen noch mehr ausgestaltet worden. Es handelte sich um das Innere eines Fliegers, bei dem die eine Seite weggeschnitten war, damit man hineinschauen konnte. Sie hatten die Maschine auf die Bühne geschafft.
    Mill, der am Klavier saß, sagte: »Hi.« Er war nie so feindselig wie Will. Schließlich war er ja auch nicht mein Bruder. Er fing an, »And the Red, Red Robin« vor sich hin zu klimpern und mit seiner näselnden Stimme dazu zu singen.
    »Wieso hast du einen Zylinder auf?«, fragte ich Will, Mills »hüpf, hüpf, hüpfende Rotkehlchen« übertönend.
    »Für meine Nummer.« Er fing an, einen Stepptanz zu vollführen, und stimmte in den Gesang mit ein:
    Und da gibt’s kein Schluchzen mehr
    Wenn es dann ertönt
    Sein aaaltes süßes LIED!
    Das Klavier trillerte, die Schuhe steppten. Ich schrie aus voller Kehle:
    »Was hat das alles mit Mord in den Wolken zu tun?« Das war der Titel der neuen Inszenierung.
    Will hörte auf zu tanzen und sagte, als ob das eine Antwort wäre: »Ich bin der
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