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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Grimes
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schmeckte. Ich beschloss, dass es besser war, die Flasche einfach unauffällig zu entsorgen.
    Ich verließ das Hotel durch die Hintertür und ging den Pflasterweg entlang zum Cocktailgarten, in der Absicht, die Flasche dort auf dem Tisch stehen zu lassen. Aber dann dachte ich, nein, dann würde man bloß merken, dass sie leer war.
    Will sagte, Mrs Davidow sei definitiv Alkoholikerin. Dass man Alkoholiker ist, merkt man unter anderem daran, dass man verrückte Sachen mit Flaschen anstellt. Wie in Das verlorene Wochenende , einem Film, den ich mir nicht anschauen durfte, was bloß hieß, dass ich, sobald er im Orion kam, schnurstracks reinging. (Der Besitzer, Mr McComas, mochte nämlich alte Filme.) Jedenfalls versteckte Ray Millard, der Typ, der die Hauptrolle spielte, überall in seiner Wohnung Flaschen, eine sogar im Kronleuchter.
    Hier schleppte ich nun also eine leere Flasche Myer’s Rum herum und hoffte, bloß keinem zu begegnen, außer es war ein Filmproduzent, der in der Situation womöglich Potenzial erkannte. Ich musste aufhören mit dem Quatsch. Also kletterte ich unten an der Auffahrt, wo neben dem Federballplatz dichte Rhododendronhecken standen, die Böschung hoch und steckte die Flasche in den Rhododendron. Ich kam mir vor wie Ray Milland.
    Ich stand an der Kiesauffahrt, wartete auf Axel und starrte wie gebannt auf die Stelle, wo unser Hund Rufus von einem Auto angefahren und getötet worden war. Damals, als es passierte, hatte ich genauso dagestanden wie jetzt. Rufus war auf die Straße gelaufen, der Fahrer war also vermutlich nicht schuld, aber das war egal. An das Auto oder den Fahrer konnte ich mich nicht mehr erinnern. Während ich die Stelle betrachtete, geriet sie immer weiter weg und wurde immer kleiner, so wie auf einer Filmleinwand beim Ausblenden im Dunkeln ein heller Kreis ist, der immer kleiner und kleiner wird. Und darin war der sterbende Rufus und wurde winziger und immer winziger, bis er ganz verschwunden war und nur noch die schwarze Leinwand übrig war.
    Ich musste blinzeln.
    Ich konnte ihn mit diesem Blinzelzauber immer wieder heraufbeschwören. Blinzeln, und da war er – wieder blinzeln, und weg.
    Das Problem war, dass ich dachte, ich könnte Rufus wieder zurückholen, wenn ich bloß auf die richtige Art und Weise blinzelte. Damals war ich klein, erst fünf, es überraschte mich also nicht, dass es mir so vorkam. Ein kleines Mädchen mag glauben, dass ihr Hund immer noch irgendwo ist. Wenn man älter wird, weiß man, dass der Tod bloß der Tod ist, und damit hat sich’s.
    Blinzeln tat ich aber trotzdem.
    In dem Moment kam Axels Taxi angefahren. Am Steuer saß aber nicht Axel, sondern Delbert. Ich wusste, es wäre Delbert, dem war es nämlich immer, ganz egal, wie sehr die Frau in der Zentrale beteuerte, Axel würde kommen. Ich hatte schon geglaubt, Axel gäbe es gar nicht, wenn ich ihn nicht schon oft irgendwohin hätte fahren sehen. Bloß hatte er nie einen Fahrgast dabei.
    »Willst du den ganzen Tag da rumstehen?« Delbert steckte den Kopf aus dem Fenster auf der Fahrerseite. »Taxiuhr läuft.« Das fand er nun sehr witzig und patschte aufs Lenkrad.
    »Du hast doch gar keine Taxiuhr«, sagte ich, schlüpfte rein und rutschte auf dem Rücksitz ganz runter, damit er mich im Rückspiegel nicht sehen konnte.
    Das Taxi machte einen Satz vorwärts. »Nein, haben wir nicht, aber wenn wir eine hätten, würde sie laufen.« Sein Gelächter hörte sich eher nach Schweinegrunzen an. »Also, wo willst du hin? Als ob ich’s nich wüsste.« Er lachte wieder.
    Das machte mich richtig fuchsig. »Ach, tatsächlich? Und wohin?«
    »Na, entweder zum Rainbow oder zum Gerichtsgebäude. Obwohl, is ja ziemlich egal, wo ich halte, nachdem die gegenüber liegen.«
    Wir kamen an Brittens Laden vorbei, wo die Brüder Woods und Mr Root auf der Holzbank saßen. Oder vielmehr, zwei davon saßen – Ubub und Mr Root. Ulub stand mit einem Buch in der Hand da. Ich kurbelte das Fenster herunter und rief, und alle drehten sich her und winkten.
    Dann bat ich Delbert, mich an der Bank rauszulassen.
    »An der Bank? Da gehst du doch nie hin.«
    »Alles weißt du ja wohl auch nicht, was?«
    Zehn Minuten später fuhren wir an der First National vor, und ich stieg aus und gab ihm das Fahrgeld. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihm kein Trinkgeld zu geben, gab ihm dann aber fünfzehn Cents.
    Es war lästig, den ganzen Weg von der Bank an der Second Street bis zurück zum Rainbow Café laufen zu müssen, mehr als fünf
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