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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Grimes
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Bruders verlagerte. »Ich meine vielmehr Medea und ihre Rache. Bei den Griechen geht es andauernd um Rache – das Einzige, an was die denken, ist Rache.« Indem meine Gedanken für einen kurzen Moment bei Ree-Jane verweilten, begriff ich auch, warum. »Die Polizei ist endlich überzeugt, dass Ben Queen Rose nicht umgebracht hat.« (Dank mir, hätte ich hinzufügen können, tat ich aber nicht.) »Ich bin mir fast sicher, es war ihre Tochter Fern …«
    »Hast du dafür irgendwelche Beweise?«
    Ich seufzte. »Ich bin Reporterin, nicht Polizistin. Nein. Es scheint mir einfach nur logisch. Ich behaupte: Jemand bringt Fern um aus Rache dafür, dass sie ihre Mutter Rose umgebracht hat.«
    In meinem Kopf überschlugen sich die Möglichkeiten. Es kam mir vor wie bei einem von diesen Flipperautomaten, an denen Will und Mill immer spielten. Jede kleine Stahlku gel rollt gezielt in ein Loch. Ich zog den Hebel zurück, und wiiisssccchhh fand ein Gedanke nach dem anderen , klack, klick, klack, sein Loch.
    »Das über Fern Queen haben wir gebracht. Wir wissen aber nicht, wer es getan hat.«
    Ich wünschte, er würde aufhören, die Flipperkugeln aus ihrer Bahn zu werfen. »Vergessen Sie nicht, vor alledem ist der Mord an Mary-Evelyn Devereau, und ich bin mir ganz sicher, sie wurde ertränkt, weil die dachten, sie sei das Kind ihrer Schwester Iris. Bastard nannte Isabel sie.«
    Mr Gumbrel setzte sich an Suzies alte Schreibmaschine, Marke Royal, und tippte auf ein paar Tasten, als wollte er, dass ihm die Wörter aus den Fingerspitzen kamen. »Willst du damit sagen, die Schwestern Devereau haben die arme Kleine umgebracht?«
    »Ja, will ich.« Ich sollte ihn ja eigentlich nicht daran erinnern müssen, dass eine von diesen Schwestern fast diese arme Kleine umgebracht hätte, nämlich mich. »Sie haben doch hoffentlich noch nicht vergessen, dass sie versucht hat, mich zu töten? Sie war natürlich verrückt. Sie hielt mich für Mary-Evelyn. Also musste sie mich umbringen.«
    Er patschte mit der Hand gegen den Wagenrücklauf der Schreibmaschine. »Diese zeitlichen Zusammenhänge sollten wir vielleicht alle richtig hinkriegen.«
    Ach, wie langweilig! Die Atmosphäre wollte ich richtig hinkriegen, die Gefühle, den Anblick von allem …
    »Du bist da womöglich auf was gestoßen, Emma.«
    Das war mir klar. Mein Kopf war so schwer beladen mit Flipperkugeln, dass ich mich kaum rühren konnte. »Heute bin ich hergekommen, weil ich das Archiv durchforsten will« – das Wort gefiel mir, es hörte sich gewichtig an, wie mein Kopf gerade – »nach weiteren Einzelheiten. Sie sagten vorhin, Sie glauben, Morris und Imogen hätten das Baby selber weggeschafft.«
    »Morris Slade hätte ich das schon zugetraut.« Er kniff wegen des Zigarettenrauchs die Augen zusammen und guckte grimmig. »Der Bursche war ein Spieler. War ständig im ›Pokerclub‹, so hieß das damals. Der verwettete alles, bloß um weiter spielen zu können, alles. Hatte wohl einen Haufen Schulden.«
    »Es gab aber nie eine Lösegeldforderung.«
    »Soweit wir wissen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte mich mehr damit beschäftigen müssen, aber damals hatten wir zu wenig Reporter.«
    Ich überlegte, was damals wohl wichtiger hatte sein können als ein aus einem Grandhotel verschwundenes Baby. Darüber hätte man ganze Bücher schreiben können. Schon bei der Vorstellung kamen mir die Geistesblitze. Ich rutschte vom Schreibtisch. »Ich will im Archiv rumstöbern und mal schauen, ob ich die Verbindung rausfinde.«
    »Du hast ja einen Kopf voller Ideen, Emma.«
    Umso besser, fand ich, nachdem ich schon kein Gesicht voller Hübschheit hatte.
    Das Hinterzimmer war so muffig wie eh und je, in meinen Augen vielleicht noch muffiger, weil es die Vergangenheit beherbergte, und mit der Vergangenheit war nichts zu vergleichen. Die tröstlichen Worte von William Faulkner fielen mir wieder ein, nämlich, dass die Vergangenheit nicht tot war – sie war nicht mal vergangen. Ich hatte es wortwörtlich abgetippt und den Zettel an meinen Spiegel gesteckt. Dwayne in Slaws Autowerkstatt drüben war der große William-Faulkner-Leser. Er nannte ihn »Billy«. Ein Mechaniker, selbst ein Meistermechaniker, der William Faulkner las, war schon was Bemerkenswertes.
    Nicht, dass ich Faulkner tatsächlich gelesen hätte, außer die Anfänge einiger Geschichten (um Dwayne zu beeindrucken) oder ein paar hier und da hervorgekramte Wörter. Ich stieg nicht direkt selber in die Mine hinunter, eher schürfte
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