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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Grimes
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deshalb nicht mit Delbert abgeben, hatte aber keine andere Wahl, weil Axel angeblich »grade losgefahren« war, um an der Red Bird Road einen Fahrgast abzuholen.
    Stillversunken saß ich also auf dem Rücksitz und hoffte, das würde Delbert vom Reden abhalten, was es aber natürlich nicht tat. Ich spielte mit dem Gedanken, mich in die Kuhle auf dem Boden zwischen Vorder- und Rücksitz zu legen, damit er glaubte, ich wäre bei der letzten Bodenwelle aus dem Taxi gefallen.
    Er laberte über die First National und was ich dort zu schaffen hätte. »Bist du zu Geld gekommen, haha?« und: »Vielleicht hast du sie überfallen, hä, und ich war womöglich der Fluchtautofahrer, haha.« Und so weiter, lauter Sachen, bei denen ich das Gefühl hatte, sie nahmen mir die Luft zum Atmen, pressten den ganzen Sauerstoff raus.
    »Ich musste was aus meinem Schließfach holen.«
    »Hä?«
    Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie Delberts Knopfaugen sich argwöhnisch verengten. »Schließfach? Hast du Wertsachen? Glaub ich nich, dass du Wertsachen hast.« Er schnaubte verächtlich.
    Ich war mittlerweile auf dem Sitz ganz nach unten gerutscht und breitete ein paar Haarsträhnen aus, um durch sie in die Sonne zu gucken. Die Sonne verwandelte meine Haarfarbe, laut Ree-Jane Mausgrau, in eine Art verbranntes Umbra. Ich hatte keine Ahnung, was das für eine Farbe war, mir gefiel einfach der Klang von »Umbra«. Und »verbrannt« hörte sich gut dazu an. Mir war es eigentlich egal, was es bedeutete. Wahrscheinlich erfanden Schriftsteller wie William Faulkner deshalb immer neue Wörter.
    »Und?«, sagte Delbert. »Was für Wertsachen?«
    »Delbert, wenn ich ein Schließfach hätte, würde ich wohl kaum rumerzählen, was drin ist.« Mittlerweile waren wir in Spirit Lake und näherten uns Brittens Laden. »Halt an!«, rief ich.
    Delbert bremste so heftig, dass wir beide nach vorn flogen.
    »He, spinnst du?« Er war weiß im Gesicht.
    Ich lächelte. »Ich würde lieber hier aussteigen.« Ich kramte in meinem Kleingeldtäschchen und förderte drei Fünfundzwanzig-Cent-Münzen zutage, die ich ihm reichte.
    »Du hättest ja auch einfach sagen können, ich soll bitte anhalten.« Missmutig dankte er mir für die fünfundzwanzig Cent Trinkgeld.
    Mr Root saß immer noch auf der Bank, und Ulub stand immer noch da, das Buch hoch erhoben. Ich wusste, dass er Gedichte las.
    Mr Root hatte Ulub dazu angehalten, laut vorzulesen, weil er dachte, das würde ihm bei seinem Sprachfehler helfen. Ubub, Ulubs Bruder, war von dieser Übung befreit, da Mr Root Ububs Sprachproblem nicht annähernd so schlimm fand. Ubub war ein bisschen leichter zu verstehen, aber nicht so leicht, dass er nicht auch ein paar Unterrichtsstunden in Sprechtechnik hätte vertragen können. Meiner Ansicht nach hatte es bei beiden keinen Sinn, doch Mr Root war fest dazu entschlossen. Ich gebe natürlich gerne zu, dass Mr Roots Gehör viel feiner eingestellt ist als meines. Er war der Einzige, der die beiden verstehen konnte, ohne groß zu überlegen. Es war ziemlich erstaunlich.
    Mit richtigen Namen hießen sie Alonzo und … Robert, glaube ich. Von Dodge Haines und Bubby Dubois und anderen gnadenlosen Typen, Stammgästen im Rainbow Café, waren sie »Ulub« und »Ubub« getauft worden. Die Spitznamen der »Jungs« kamen von den Nummernschildern ihrer alten Pick-ups: UBB und ULB . Die »Jungs« waren aber viel zu gutmütig, als dass sie sich an dieser Gemeinheit gestört hätten.
    Ich überquerte den Highway und winkte ihnen zu, musste von der anderen Seite aus dann mit ansehen, wie Delbert noch einmal zurückkam und ein läppisches Hupsignal abgab. Das war Delberts Vorstellung von witzig.
    Ich reagierte nicht darauf. Als ich die grasbedeckte Böschung hochkam, wo die Bank stand, hörte ich Ulub rezitieren:
    Ii äntuus memons eh ii ii an.
    Mir gefiel die Art, wie er es mit Gesten untermalte, den Arm über den Kopf geschwungen, die Hand aufs Herz. Ich verstand kein Wort außer »ich« am Anfang und »an« gegen Ende.
    »Recht gut, Ulub«, sagte Mr Root.
    Eigentlich hörte sich Ulub so an, wie er sich immer anhörte. Wir hatten alle schon einige Zeit damit verbracht, uns zu überlegen, welcher Dichter sich für dieses Unterfangen am besten eignete. Einer der ersten war ein Dichter gewesen, von dem ich noch nie gehört hatte, Vachel Sowieso. In einem alten Buch, das bei ihnen zu Hause herumlag, hatte Ulub eins seiner Gedichte entdeckt. Das Gedicht hieß »Der Kongo«. Mr Root mochte es, weil es
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