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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany
Autoren: Chufo Lloréns
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fürstliche Rüstung, an deren Brustharnisch eine prächtige Goldkette funkelte. Von ihr hing eine Korallenkamee herab, die ein Wildschwein darstellte. In fester Haltung erwartete er sie vor dem Altar. Für einen Moment glaubte sie, wieder das kleine Mädchen zu sein, das in seinem Bett von Augenblicken wie diesem geträumt hatte. Ermesenda erreichte ihn. Ihr Vater löste sie von seinem Arm und begab sich zu einer Seite des Chorraums. Nach einer Verbeugung stellte sich Ramón Borrell links von ihr auf. Plötzlich verstummten die wohlklingenden Musikakkorde, und eindrucksvolle Stille breitete sich in der Kirche aus.
    Ermesenda erinnerte sich an sämtliche Einzelheiten der Zeremonie. Zwei Bischöfe leiteten den Gottesdienst: der von Béziers und der von Barcelona. Dazu kamen noch der Dekan von Carcassonne und eine Siebenergruppe angesehener Geistlicher von beiden Pyrenäenseiten. Sie
waren mit weißen Messgewändern und goldbestickten Mänteln herausgeputzt und dienten als einfache Messgehilfen. Der Höhepunkt wurde nach römischem Ritus zelebriert: Ein Ministrant gab ihr zu verstehen, sie solle die Hände zu einer Schale formen, und dann legte Ramón Borrell das silberne Brautgeld hinein, dessen symbolische Bedeutung sie so gut kannte. Alles ging ganz schnell vor sich. Sie nahmen ihre linke schneeweiße Hand, die aus dem eng anliegenden Ärmelaufschlag ihres Kleids zaghaft hervorsah. Während ihr Ramón Borrell den Trauring an den Finger steckte, hörte sie seine Worte:
    »Ego Raimundus Borrellius comes civitatis Barcinonensis, accepto te Ermesenda sicut uxor mea et promisso cavere te, omni perículos, rispetare et cautelare vos a malo et essere fidelis in salute et malaltia usque tandem Deus Dominus nostro cridi me al seu costat at finem dels meus dies.«
    Obwohl sich in diesem Moment ihr weiteres Schicksal entschied, nahm Ermesendas Geist die Fülle schöner und hochtönender Worte auf, die sie nicht kannte, die sich jedoch mit dem Latein vermischten und in ihrem Kopf nachhallten. Dann steckte sie auch ihm den Ring an. Die Musik erklang aufs Neue. Die Glocken stimmten ein unvergleichliches Geläut an, dessen feierlicher Rhythmus die Musik begleitete, bis Ermesenda zusammen mit ihrem Gemahl durch das Fallgatter der Burg von Carcassonne gefahren war; dann dämpften die dicken Mauern das Getöse.
    Sie stieg aus dem Wagen. Während die Gäste eintrafen, wurde sie in aller Eile zu ihren Gemächern geführt, wo ihre Kinderfrau und eine Heerschar von Damen und Dienerinnen auf sie wartete. Sie zogen ihr das prächtige Kleid aus, das sie während der Zeremonie getragen hatte. Man parfümierte sie, und nachdem man sie gekämmt und ihre Haube durch ein Perlendiadem – früher gehörte es zum Besitz ihrer Großmutter – ersetzt hatte, bekleidete man sie mit einem malvenfarbigen Bliaud, dessen v-förmiger Halsausschnitt den Ansatz ihrer Brüste zeigte und dessen Ärmel ihre Arme wie Schmetterlingsflügel umspielten. Dann legte man ihr einen goldenen Gürtel um, der an ihren Hüften eng anlag, um ihre Körperrundungen zu betonen. Als sich die junge Frau in ihrem polierten Bronzespiegel betrachtete, hatte sie den Eindruck, splitternackt zu sein.
    »Amme, soll ich mich so meinen Gästen vorstellen?«
    »Genau so, mein Mädchen«, bestätigte die Kinderfrau in liebevollem Ton.
    »Aber ich fühle mich wie nackt …«, protestierte die junge Frau.

    »Eine verheiratete Dame soll etwas verheißen, ohne es zu gewähren, etwas anregen, ohne es preiszugeben. Euer Gemahl soll Euch als Frau sehen, nicht als Mädchen. Sonst wüsste er heute Nacht nicht, wie er Euch behandeln soll.«
    »Was geschieht heute Nacht mit mir, Amme?«
    »Was die Natur vorschreibt. Seid unbesorgt: Wenn mich meine innere Stimme nicht täuscht, bekommt Ihr einen guten Lehrer.«
    Ermesenda sah sie hilflos an.
    »Aber, Amme …«
    »Lasst Euch führen, mein Kind. Die Schafe vertrauen dem Hirten und fragen nicht. Nur zu, legt Euch das an.«
    Die Kinderfrau reichte ihr ein blaues Strumpfband.
    »Was gebt Ihr mir da?«
    »Fragt nicht so viel: Bringt es an Eurem Strumpf an, ohne dass Euch diese zudringlichen Weiber dabei zusehen.« Dabei zeigte sie auf die drei Damen, die sich die Zeit vertrieben, indem sie das Zimmer aufräumten. »In meiner Heimat, der Cerdanya, heißt es, dass so etwas Glück bringt. Hier sagt man gewiss, dass es Hexerei ist.«
    Ermesenda blickte ihr in die Augen, zog schnell einen Schuh aus, legte sich das Strumpfband um den Oberschenkel und machte es
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