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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio
Autoren: Peter Dempf
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Borghese hatte das Gefühl,
als müsse er laut loslachen, unterdrückte es aber. Solche Sätze von einem siebzehnjährigen
Knaben? Es konnte nicht schaden, die Ansichten des jungen Gonzaga zu erkunden,
schließlich unterstützte der Vater die italienische Partei. Nicht ohne
Hintergedanken schleppte er ihn bereits seit zwei Stunden durch die legendäre
Kunstsammlung des Hauses.
    „Ihr habt ein wundervolles Werk
erworben, Herr!“
    Ungläubig musterte Scipione
Borghese den jungen Gonzaga.
    „Wundervoll? Eine Provokation!“
    Diesem Satz musste er etwas
entgegenhalten, musste ihm entgegentreten, entschieden, schließlich sammelte er
Caravaggio, hatte er dem Künstler aus bestimmten Gründen Aufträge erteilt.
Stumpf, beinahe ausdruckslos blieben die Augen Ferdinando Gonzagas, während er
selbst sich in Rage redete.
    „... dieser heilige Hieronymus.
Diese Ausgewogenheit in den Proportionen, dieser Lichteinfall, der den Schädel
hervorhebt und nicht nur den Schädel des Heiligen, mein Freund, auch den
Totenschädel auf der anderen Seite des Tisches. Versteht Ihr? Memento mori,
gedenke des Todes im Leben, das ist üblich, aber dieser Caravaggio geht darüber
hinaus und zeigt hier mit diesen Lichtreflexen und mit diesem Arm, dass Leben
und Tod eins sind.“
    Aus den Augenwinkeln heraus
beobachtete Scipione Borghese, dass Ferdinando Gonzaga nickte und ihm offenbar
doch interessiert lauschte.
    Konnte er ihm tatsächlich folgen?
Steckte in diesem jungen Kopf tatsächlich etwas vom Verstand und Gespür seines
Vaters?
    Ahnte er, dass dieser Hieronymus,
der am Tisch saß und die Bibel übersetzte, nicht als Gelehrter, nicht als
Humanist, der einer philologischen  Herausforderung nachging, sondern als ein von
Gott Begnadeter, von Caravaggio als ein regelrecht Besessener interpretiert
wurde.
    „Betrachtet Euch nur das Licht. So
neu, so vollkommen in seiner Ruhe. Überirdisch!“
    „Ja!“, hörte Scipione den jungen
Gonzaga flüstern. „Kosmisch!“
    Scipione Borghese musste den Atem
anhalten. Dieser Ferdinando Gonzaga spielte mit ihm und hielt ihn zum Narren.
Und plötzlich wurde er doch verblüfft.
    „Ein Wundertätiger ist er, dieser
Caravaggio, selbst ein Heiliger. Der Heiligenschein des Hieronymus wird, wenn
ich das richtig sehe, so eingesetzt, dass er damit eine Tiefenwirkung erzielt. Dann
diese Bücher. Seht Ihr? Wie sie kreuz und quer durcheinander liegen, als wären
sie wahllos übereinander geworfen. Dabei gibt der Künstler dem Raum dadurch
erst seine Tiefe, seine Gestalt. Hieronymus schwebt nicht mehr in einem
imaginären Raum, sondern sitzt fest verankert im Hier und Jetzt. Er ist ein
Heiliger unserer Zeit geworden, für unsere Zeit!“
    Einige Augenblicke verharrte
Scipione vor dem Werk, berührte mit der flachen Hand vorsichtig den Malgrund
und dachte über das nach, was Ferdinando Gonzaga eben gesagt hatte. Recht hatte
er, uneingeschränkt recht, dieser junge Geck. Konnte die eben geäußerte Idee
wirklich im Kopf dieses Laffen entstanden sein? Vielleicht konnte er ihm
tatsächlich nützen.
    „Damit wird er ein Knecht der
Gegenreformation“, dachte er sich. „Wer die Heiligen so ins Profane
hinüberzieht, will sie entweder lächerlich machen oder aber die Toren damit
fangen. Caravaggio hatte hier einfach einen der Bettler als Vorbild
hergenommen, die täglich an der alten Tiberbrücke saßen und die Hand mit
derselben Selbstverständlichkeit aufhielten, mit der dieser Heilige das Wissen
um die Existenz Gottes erfasste.“
    Scipione Borghese nahm Ferdinando
Gonzaga am Arm und geleitete ihn einen Raum weiter. Im angrenzenden Zimmer,
dessen marmorner Kamin angeheizt war, um die Kühle des Steinbodens und der
Säulen zu mildern, war ein Tisch aufgestellt und gedeckt worden.
    Er hieß Ferdinando Gonzaga am einen
Tischende Platz nehmen und setzte sich ihm an der Stirnseite gegenüber. Welche
Gedanken mochten sich hinter der Stirn des jungen Mannes verbergen? Ahnte er, dass
Caravaggios Aufgabe tatsächlich darin bestand, die Kardinäle der italienischen
Fraktion über ein gemeinsames Thema zu einigen?
7.
    Nerina wusste sofort, dass sie
nicht allein im Zimmer waren. Ein eigenartiger Geruch, der entfernt an
Weihrauch erinnerte, warnte sie. Sie ließ die Tür offen, dirigierte Michele auf
seine Liege und gewöhnte ihre Augen an die Dunkelheit im Raum. Michele war ihr
jetzt keine Hilfe. Die letzte Wegstrecke hatte Nerina ihn beinahe allein
geschleppt. Trotzdem rüttelte sie ihn und versuchte ihn aus seiner Lethargie
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