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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
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Nachkommenschaft sollen den gefüllten Fleischtöpfen von Rheinsobern arg nachtrauern.«
    Hiltrud nickte sinnend. »Das kann ich mir gut vorstellen, dennhier haben sie es sich gut gehen lassen. Wären sie nicht so gierig gewesen, würden sie noch heute in der Vogtsburg hausen und Rheinwein trinken können.« Sie hielt kurz inne, strich sich eine Strähne ihres weißblonden Haares aus der Stirn, die aus ihrer Haube geschlüpft war, und warf Marie einen auffordernden Blick zu. »Du wirst der Gemahlin des neuen Burghauptmanns einen Besuch abstatten müssen. Wir haben zwar wenig mit diesen Leuten zu tun, aber sie würden es uns gewiss verübeln, wenn wir eine Dame von Stand beherbergen, die nicht die Höflichkeit besitzt, sie zu begrüßen.«
    Marie verzog ihr Gesicht wie ein schmollendes Kind. »Muss das sein? Ich hatte mir geschworen, die Vogtsburg nie mehr zu betreten.«
    Im Grunde ihres Herzen wusste sie jedoch, dass Hiltrud Recht hatte, und es hätte nicht eines strafenden Blickes bedurft, sie anderen Sinnes werden zu lassen. »Also gut! Ich werde mich morgen auf den Weg zur Sobernburg machen. Danach kann ich ja Hedwig und Wilmar aufsuchen.«
    »Das will ich doch hoffen! Die beiden würden kein Wort mehr mit mir sprechen, wenn sie erführen, dass du zu mir gekommen bist, ohne sie gleich am nächsten Tag zu besuchen. Sie mögen dich sehr, das weißt du ja, und ich hatte in den letzten Jahren einiges zu tun, Hedwigs Grillen zu fangen.«
    »Du musstest Grillen fangen?« Marie starrte ihre Freundin verständnislos an und erhielt dafür einen kleinen Nasenstüber.
    »Nicht die auf dem Feld, deren Konzert du jetzt durch das Fenster hören kannst, sondern jene in Hedwigs Kopf. Sie hat sich mehr Sorgen um dich, Trudi und Michi gemacht, als für sie gut war, und ist ihres Lebens nicht mehr froh geworden.«
    »Es wird ihr besser gehen, wenn ich gesund und munter vor ihr stehe. Aber jetzt gib mir noch eines von deinen köstlichen Broten und einen Becher vermischten Weines. Ich will es genießen, endlich wieder bei dir zu sein.« Marie lehnte sich lächelnd zurückund zwinkerte ihrer Freundin zu. Trotz der Zeit, die seit ihrer Abreise nach Böhmen vergangen war, fühlte sie sich auf dem Ziegenhof so wohl wie am ersten Tag. Die Ängste, die sie während ihrer Fahrt hierher bis in ihre Träume verfolgt hatten, schienen ihr jetzt so fern, dass sie sich kaum daran erinnern konnte.

IV.
     
    D ie Vogtsburg von Rheinsobern war ein alter Bau mit hohen Mauern, engen Innenhöfen und einem schon von außen nicht besonders wohnlich wirkenden Hauptgebäude. Generationen von Burghauptleuten und Vögten hatten mit ihren Familien hier gelebt und sich entweder mit den Verhältnissen abgefunden oder versucht, die Gebäude mit eher geringen Mitteln ihren Bedürfnissen anzupassen. Erfolg aber war keinem beschieden worden. Auch Isberga von Ellershausen, die Gemahlin des neuen pfalzgräflichen Vogts, hatte diesen Kampf aufgenommen und ihn zumindest in ihrer Kemenate gewonnen. Auf den weichen Polstern, die in den geflochtenen Sesseln lagen, ließ es sich vortrefflich sitzen und schwatzen. Frau Isberga liebte Gespräche und hatte ihre Leibmägde und ihre Wirtschafterin zu guten Zuhörerinnen erzogen.
    An diesem Tag war sie es jedoch, die zuhören musste. Alles, was sie einflechten konnte, war ab und an ein »Das ist ja entsetzlich!«, »Was für ein Unglück!« und »Du Ärmste!«. Sie bedauerte das schwere Schicksal der Dame, die ihr gegenübersaß, kam aber nicht umhin, sich zu fragen, warum Hulda von Hettenheim ihre feiste, schwerfällig wirkende Gestalt durch ein so unkleidsames Gewand unterstreichen musste. Braun und Ocker waren nun einmal keine Farben für eine Frau mit fleckigem Teint und mausfarbenem Haar. Aber sie kannte ihre Freundin schon lange undwusste, dass diese jeden noch so gut gemeinten Ratschlag als Kritik auffasste. Daher hielt sie sich gegen ihre sonstige Gewohnheit zurück, obwohl ihr scharfe Worte auf der Zunge lagen. Seit Falko von Hettenheims Ableben schien Hulda sich noch weniger zu pflegen als früher und ganz in ihrer mit Hass vermischten Trauer aufzugehen.
    Nun berichtete sie in vielen Wiederholungen und mit bissigen Worten durchmengt, wie der Kaiser ihren Ehemann Falko zuerst gedrängt hatte, in seine Dienste zu treten, und ihn dann hatte fallen lassen wie eine heiße Kastanie.
    »Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gibt, wird dieser Verrat Sigismund zum Schlechten ausschlagen!« Hulda reckte die Fäuste zur Decke und
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