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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs
Autoren: John Boyne
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laut. Er hörte die Stimmen von Sophie und Nell, die von ihrer kleinen gemeinsamen Wohnung im Dachgeschoss zusammen nach unten gingen. Sie sprachen leise, in der Annahme, dass der Herr und die Herrin des Hauses noch schliefen, und, so absurd es auch war, wünschte er mit einem Mal, ihnen in die Küche folgen zu können, um an irgendeiner trivialen Unterhaltung der beiden teilzunehmen, was selbstverständlich nicht infrage kam. Sie würden denken, jetzt hätte er gänzlich den Verstand verloren, und wenn die Reporter das dann erführen, wäre der Rest der Geschichte gar nicht mehr auszudenken. Überall gab es Spione, und außer seiner Frau war niemandem mehr zu trauen, das hatte er in den letzten Monaten gelernt.
    Auf jeder Seite seines Schreibtischs stand ein gerahmtes Foto. Mit liebevollem Blick schaute er von einem zum anderen. Auf dem einen war Jane abgebildet, es war vor zwei Jahren auf der Feier ihres vierzigsten Geburtstages aufgenommen worden. In den langen Jahren, seit er sie kannte, hatte sie sich kaum verändert; selbst auf diesem Foto hätte sie als zehn oder zwölf Jahre jüngere Frau durchgehen können. Jane war auffallend schön – und schwierig. So war sie schon, als sie sich kennenlernten, damals, als er noch Anwalt und Ende zwanzig gewesen war und sie eine Debütantin, zehn Jahre jünger als er, die Tochter eines alternden Kollegen, die auf der Suche nach einem potenziellen Ehemann und einem angenehmen Lebensstil war.
    Auf dem anderen Foto war ihr Sohn Gareth zu sehen. Es stammte aus dem vergangenen Sommer, als er mit einem Freund aus Cambridge auf Segeltour gewesen war. Wenn Roderick sich nicht täuschte, war der Freund in der Ruderregatta Steuermann gewesen und seine Mannschaft hatte mit vier Längen gesiegt. Auf dem Foto grinste Gareth breit und hatte den Arm um die Schultern seines Freundes gelegt. Gareths Haar war zu lang für einen Jungen und seine Haltung zu sorglos für jemanden, der sich allmählich niederlassen und eine angemessene Stelle finden sollte. In den letzten Monaten war der Junge jedoch rücksichtsvoll gewesen, hatte gewusst, unter welchem Druck sein Vater stand. Wenn er da war, hatte er dann und wann eine aufmunternde Bemerkung gemacht, aber dieser Tage hielt er sich kaum noch bei ihnen auf. Wenn Roderick es recht bedachte, konnte inzwischen eine ganze Woche vergehen, ohne dass er seinen Sohn sah, der mit seinen Freunden die Nacht zum Tag machte, eine Gruppe, die offenbar vorhatte, in ihren Zwanzigern nichts anderes zu erreichen, als sich ihrem Hedonismus und dem fröhlichen Leben hinzugeben. Roderick wusste, dass der Junge ihm aus dem Weg ging, um das überfällige Gespräch zu vermeiden, das darauf hinauslaufen würde, Gareth solle sich eine Arbeit suchen. In dem Punkt war er als Vater in jüngster Zeit nachlässig gewesen. Aber auch das würde sich nach dem heutigen Tag ändern.
    Es war alles so anders als zu der Zeit, als er in Gareths Alter gewesen war. Jura zu studieren, das war von jeher sein Wunsch, doch da er nicht aus einer wohlhabenden Familie stammte, war die Beendigung des Studiums ein Kampf gewesen. Sicher, nach den ersten Fällen hatte er sich rasch einen Namen als einer der hellsten Köpfe in der Kanzlei von Sir Max gemacht, aber in seinen Zwanzigern hatte er jeden Tag zum Aufbau seiner Reputation genutzt, war bei mehreren Verfahren erfolgreich gewesen und hatte Sir Max beeindruckt, der andeutete, eines fernen Tages könne Roderick die Kanzlei möglicherweise leiten, natürlich erst nach dem Tod von Sir Max und vorausgesetzt, er bliebe bei seinem Arbeitspensum und ließe in seinem Leben keine Ablenkungen zu. Und fraglos müsse er veröffentlichen. Das – oder untergehen.
    Allerdings hatte es in Rodericks Leben ohnehin kaum Ablenkungen gegeben, bis er Jane kennenlernte, die ihm bewusst machte, dass das Leben nicht nur aus Arbeit bestand und dass all der Erfolg ohne Liebe bedeutungslos war.
    Jetzt, viele Jahre später, leitete er die Kanzlei tatsächlich und war ein gefeierter, wohlhabender Mann, anscheinend so wohlhabend, dass sein Sohn annahm, er sei nicht verpflichtet, sich ein Leben oder eine Karriere aufzubauen, da das Konto seines Vaters ausreiche, ihn sein Leben lang zu unterhalten. Doch Roderick glaubte fest daran, dass ein dreiundzwanzigjähriger Mann eine Karriere brauchte und dass es keine Alternative war, wöchentlich in den Klatschspalten zu
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