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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind
Autoren: Rahel Sanzara
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Geschäfte mit dem Viehhändler abzuschließen, und trat
auf dem Rückweg in den kleinen Laden ein, wo er für die Wirtschafterin
Besorgungen für die Küche, Öl für die Lampen kaufen wollte. Während des
Nachmittags hatte es zum erstenmal geschneit, in der Dämmerung strahlte
die traurig versunkene Erde wieder auf, in weißem, zartem Schein.
    Im Laden brannte die Lampe, die mit einem großen weißen
Blendschirm über dem Ladentisch hing und im Umkreis ihres Scheines die
Fläche seines weißen Holzes beleuchtete mit allem, was sie trug an
Büchsen und Gläsern, während sie den übrigen Raum, die Regale mit den
Kästen, die Fässer und Säcke in Dämmerung ließ. Der Laden war leer. Auf
Christians Ruf öffnete sich eine Nebentür leise, eine Gestalt glitt in
den Lichtkreis der Lampe, und als Christian, auch zum Lichte tretend,
sich ihr entgegenbeugte, leuchtete plötzlich das schneeweiße Gesicht
einer Frau so nahe dem seinen entgegen, daß der Atem des roten,
lächelnd geöffneten Mundes ihn weich berührte. Vor seinem
niedergesenkten Blick lag die Finsternis weitgeöffneter, schwarzer
Augen. Bis zum nächsten Lidschlag dieser Augen hielt sein Herz inne im
Schlag, verströmte ihm Blut und Zeit ins Grenzenlose. Dann erwachte er
und trat zurück. Er sah sie an. Es war ein junges Mädchen, das er hier
noch nie gesehen hatte, eine fremdartige Gestalt, klein, zart und doch
von leichter Üppigkeit, ihr Haar war schwarz, glänzend umgab es das
Haupt und das weiße Gesicht bis tief in die Stirn hinab. Er sah ihre
kleinen, vollen Hände zittern, der Blick ihrer Augen war jetzt gesenkt,
doch der Mund war noch immer lächelnd geöffnet. Er reichte ihr das
kleine Papier, auf dem von der Wirtschafterin die Einkäufe
aufgeschrieben waren, und sie begann ihn zu bedienen. Ihre Bewegungen
waren geschmeidig und voll besonderer, zarter Lebhaftigkeit, als würden
sie zum Tanz oder zur Freude getan. Ihr weißes Gesicht mit seinem
Lächeln tauchte auf im Lichtkreis der Lampe und leuchtete noch
schimmernd, wenn es wieder zurückgeneigt war ins Dunkle des Raumes. Sie
sprachen nicht miteinander. Als alles, Pakete und Säcke, auf den Wagen
geladen war, wobei eines dem andern in einer seltsamen Vertrautheit
half, fuhr er fort, ohne an das Bezahlen zu denken, und das Mädchen
hielt ihn nicht auf.
    Auf der Heimfahrt fühlte Christian sich erzittern in der
alten, kindlichen Furcht, aber sein Herz war ruhig, klar in der
Entscheidung. Aus des Mädchens weitem Blick war Finsternis über ihn
geschlagen, aber der Furcht drängte sich jetzt in gewaltiger Erregung
das Verlangen des Glückes entgegen, und sein Herz entschied, sich
hinzugeben Furcht und Glück zugleich. Er kehrte am nächsten Tage schon
in die Stadt zurück und erfuhr von dem Krämer, daß das Mädchen eine
Waise sei, eine Fremde, die der Pfarrer zu ihm gebracht habe. Ohne mit
ihr zu sprechen, ohne sie auch nur wiederzusehen, hielt Christian bei
dem Pfarrer um die Hand des Mädchens an. Der Pfarrer begann ihn zu
warnen, riet ihm von einer solchen Heirat ab. Sie sei eine Waise,
besäße wohl ein kleines Vermögen von ihrem Vater, aber niemand kenne
ihn, auch sie selbst nicht, und die Mutter, eine »gefallene Tochter des
Landes«, habe bei ihrem Tod ihn, den Pfarrer, als Vormund bestellt.
Doch Christian bestand darauf, die Fremde zu heiraten, wenn sie wollte.
Der Pfarrer ließ das Mädchen kommen, und sie sagte, ohne zu zögern, ja.
Am Sonntag darauf traf sich das Paar zum Verlöbnis in der Stube des
Pfarrers. Ohne Worte streifte Christian der Erwählten den schmalen,
goldenen Ring, den er in der bloßen Hand bereit gehalten hatte, an den
Finger, aus einer Brusttasche holte er eine goldene Kette mit einem
Kreuz aus Elfenbein hervor, sie neigte lächelnd ihren Kopf, und leicht
legte er den Schmuck um ihren Hals. Dann sagte sie leise ihren Namen:
»Martha.«
    Er sagte: »Christian«, und sie reichten einander die Hände. Die Glocken
läuteten, sie gingen zur Kirche. Sie sprachen nicht, aber das Lächeln
der Braut war wie ein Glück ohne Ende.
    Nach dem Gottesdienst führte er sie im Wagen mit zu sich,
zeigte ihr Haus und Hof. Sie fragte nach allem, und bei seinen
Antworten runzelte sie aufmerksam die Stirn, wie Kinder es tun, wenn
sie lernen. Den Dienstboten, die sie neugierig umschlichen, sah sie
fest ins Auge, verscheuchte sie mit stolzem Blick, doch dem Mann
gehorchte sie vom ersten Augenblick an völlig. Er litt es nicht,
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