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Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht
Autoren: Mary Monroe
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wenigen Minuten konnte sie heimfahren, sich in ihrem großen Himmelbett unter der Daunendecke zusammenrollen, noch ein paar Kräuterpillen nehmen und beten, dass es ihr bald besser ging.
    „Wir haben nur noch Zeit für eine Frage.“
    Im Publikum erhob sich ein Mann. Es lag etwas Vertrautes in der großen breitschultrigen Gestalt und dem zurückgekämmten schwarzen Haar. Geblendet durch die Lichter versuchte Charlotte nervös, den Mann genauer zu erkennen. Er kam näher, die Treppe herunter bis zum Bühnenrand. Mit jedem seiner Schritte atmete sie heftiger und verzweifelter.
    Vicki, die eine Sensation ahnte, sah den Mann sich kühn der Bühne nähern. Sie öffnete den Mund, etwas zu sagen, doch entweder Instinkt oder eine plötzliche Erinnerung ließen sie schweigen. Mit einer raschen Handbewegung gebot sie dem Sicherheitsdienst Einhalt und ließ zu, dass sich Spannung im Publikum ausbreitete. Während die Kamera schwenkte, sanken die erhobenen Hände ringsum, und alle Augen richteten sich auf den gut aussehenden Mann am Bühnenrand, der die versteinerte Schauspielerin durchdringend ansah. Stille im Saal.
    „Charlotte Godfrey“, sagte er mit klarer, vorwurfsvoller Stimme. „Du bist eine Betrügerin.“
    Ein Raunen ging durch die Menge, und von weit her hörte Charlotte Freddys Aufforderung, diesen Irren zu entfernen.
    Sprachlos starrte Charlotte in die undurchdringlichen dunklen Augen. Sie fand keine Worte, sie hatte kein Skript. Sie blieb stumm aus Verwirrung, aber mehr noch, weil sie überwältigt wurde von dem Schmerz, den dieser Mann ihr zugefügt hatte. Denn sie liebte niemanden mehr als Michael Mondragon.
    Vicki beendete mit wenigen Worten rasch die Show und versprach einem verblüfften Publikum, sie werde für einen zweiten Interview-Termin sorgen.
    Freddy musste gewaltsam zurückgehalten werden, doch Charlotte hörte trotz des allgemeinen Tumults sein wüstes Schimpfen. Mit letzter Kraft erhob sie sich würdevoll, stützte sich kurz am Sessel ab, drehte sich um und ging aus dem Scheinwerferlicht, weg von Freddy und vor allem weg von Michael Mondragon. Er rief ihr etwas nach. Es klang wie ein Befehl. Sie ignorierte ihn und ging schneller, lief fast, zurück in die Einsamkeit des grünen Raumes.
    „Lassen Sie niemand ein“, befahl sie dem Wachmann. Der nickte und straffte die Schultern, als sie an ihm vorbeiging und die Tür hinter sich schloss.
    Was mache ich nur? fragte sie sich immer wieder und ging auf und ab, die Hände am fiebrigen Gesicht.
    „Charlotte!“ rief Michael vor ihrer Tür. Er schlug dagegen, dass das Holz vibrierte. „Mach auf! Wir müssen miteinander reden. Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben wegwirfst!“ Die Tür bebte. „Charlotte!“
    Dann Freddys Stimme. Jetzt riefen beide Männer ihren Namen. Sie warf sich aufs Sofa und bedeckte die Ohren. Die zwei keiften sich an wie Hunde, die ihren Besitz verteidigen. O Gott, schlugen sie sich etwa? Sie hörte entsprechende Geräusche und entsetzte Ausrufe von Vicki.
    „Haut ab!“ rief Charlotte ihnen zu. „Lasst mich einfach in Ruhe!“
    Sie rollte sich auf dem Sofa zusammen und zog zitternd die Knie an. Jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte, jeder Muskel zitterte. „Geht weg!“ jammerte sie immer wieder, von Fieber geschüttelt. Sie konnte und wollte so nicht weitermachen. Sie würde weder auf Michael noch auf Freddy hören.
    Hier ging es um ihr Gesicht, um ihr Leben. Sie musste diese Entscheidung allein treffen. Sie musste nachdenken, sich erinnern, dahin zurückkehren, wo alles begonnen hatte. Sobald sie den Widerstand aufgab, schien eine schützende Dunkelheit sie zu umfangen, und im Geist sah sie das Kind, an das sie während des Interviews erinnert worden war. Und sie hörte die hohe Stimme eines kleinen Mädchens, das immer wieder sagte: „Ich mache nicht mehr mit, okay?“
     
    September 1976
    Charlotte saß am Rande des Spielplatzes. Ihr gelbes Kleid hing lose um die Knie, und ihre Füße baumelten von der Bank. Sie summte vor sich hin und sah den anderen Kindern zu, die sich lachend in die vielen albernen und aufregenden Spiele stürzten, die ihr so vertraut waren. Doch niemand forderte sie auf mitzumachen.
    Plötzlich sausten zwei kleine Mädchen, die sie gut kannte, an ihr vorbei und versteckten sich hinter der Bank. Charlotte saß aufrecht vor Anspannung. Die Wangen der hübschen Mädchen waren vor Aufregung gerötet, ihre Stimmen klangen schrill in gespieltem Alarm.
    „Komm hier herunter, Charlotte“, flüsterte
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