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Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht
Autoren: Mary Monroe
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Monroe.“
    Charlotte machte eine Pause. Wieder mal die Schönheit …
Ist das alles, was sie an mir sehen? Erkennt niemand etwas anderes von Wert an mir?
    „Ich glaube nicht, dass Marilyns Schönheit ein Fluch war“, erwiderte sie vorsichtig. „Der Fluch war, dass niemand etwas anderes sah als ihre Schönheit und man sie nicht ernst nahm.“
    „Sie beziehen sich auf den alten Mythos: Sie ist schön, also muss sie dumm sein.“
    „Eine Frau hat es schwer, wenn nur ihre Schönheit gesehen wird. Ich weiß das.“
    „Könnte man dasselbe nicht von einer hässlichen Frau sagen?“
    Das versetzte Charlotte einen Stich, und sie blickte auf ihre im Schoß gefalteten Hände. „Ich bin sicher“, begann sie zögernd, „dass jede hässliche Frau davon träumt, jemand möge ihre inneren Werte erkennen und einen Ausgleich durch Liebe schaffen. Ist das nicht der Kern aller Märchen?“
    „Aber das Leben ist kein Märchen.“
    „Leider“, bestätigte sie ohne Bitterkeit. „Die Realität lehrt uns, dass Männer als Beweis ihrer Macht und zur Hebung des Selbstwertgefühls schöne Frauen bevorzugen. Eine hässliche Frau kann kaum darauf hoffen, dass ihre Wünsche und Träume in Erfüllung gehen.“
    „Aber vergeht mit der Zeit nicht auch die Schönheit? Was bleibt dann?“
    Charlotte schluckte trocken. „Verzweiflung.“
    „Also ist Schönheit doch ein Fluch?“
    „Ich …“ Sie dachte wieder an Michael und seufzte resigniert. „Ja, vielleicht ist es das. Genau wie Hässlichkeit.“
    „Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll. Ich meine, sind Frauen nicht gerade dabei, sich zu verändern? Wir reden von den Stärken der Frauen, ihrer Intelligenz, ihrer Güte. Machen diese Attribute nicht die eigentliche Schönheit eines Menschen aus?“
    Charlotte wollte zustimmen, von Herzen sogar. Sie dachte an die Zeit, als sie daran geglaubt und ihre ganze Hoffnung darauf gesetzt hatte. Doch Michael hatte diesen Glauben zerstört. Sie hatte erfahren, dass niemand sie wegen ihrer Intelligenz oder ihrer Güte lieben würde. Ohne ihre Schönheit war kein Mann bereit, diesen Qualitäten eine Chance zu geben.
    „Plus ça change, plus c’est la même chose.“
    „Stehen Sie hinter dieser Haltung?“ fragte Vicki Ray tadelnd. Trotz des scharfen Tons erkannte Charlotte in ihrem Blick die stumme Panik einer Frau, die nichts gegen den unvermeidlichen Verlust des guten Aussehens und des damit nahenden Endes ihrer Karriere als Talkshow-Moderatorin tun konnte. „Glauben Sie, dass Frauen von heute alles tun sollten, so attraktiv wie möglich zu sein?“
    Charlottes Lider flatterten kaum merklich, als sie an ihre persönliche Geschichte dachte, ehe sie die Frage beantwortete.
Alles tun für Schönheit?
„Ja, das glaube ich“, sagte sie entschieden, und jede Silbe klang wie eine Totenglocke in ihren Ohren. „Ja, absolut.“
    Sie hörte das missbilligende Raunen im Publikum. Etliche Frauen hoben jetzt wild gestikulierend die Hände. Vicki eilte erfreut hin und reichte ihnen das Mikrofon.
    „Und was haben Sie getan, um so großartig auszusehen?“ wollte eine der Zuschauerinnen wissen.
    Charlotte atmete langsam aus und lächelte. Sie wollte antworten, dass sie ihre Seele dem Teufel verkauft hatte, aber nein, das konnte sie nicht tun.
    „Ich habe gar nichts gemacht“, log sie geheuchelt lässig. Mit einem zarten Hinweis auf die Wahrheit fügte sie jedoch hinzu: „Vergessen Sie nicht, dass eine Legion von Experten stundenlang daran arbeitet, mich so gut aussehen zu lassen.“ Die Frau lachte und schien Charlotte ihre Schönheit zu verzeihen.
    „Waren Sie immer so schön?“ fragte Vicki und verengte leicht die Augen. Sie schwang das Mikro von rechts nach links wie eine Keule. „Zeit zu beichten!“
    Charlotte hielt sich an den Armlehnen fest. „Nun ja …“
    „Erwachen Sie nie mit Tränensäcken unter den Augen und einem Pickel auf der Nase?“ Das Publikum lachte.
    Charlotte legte die Hände gegeneinander und blickte zur Decke. Sie war soeben einer Kugel ausgewichen. Sollte sie ihnen sagen, dass sie jeden Morgen mit entsetzlichen Schmerzen erwachte und mit dem Wissen, dass diese wunderbare Fassade unter der Oberfläche bröckelte?
    „Ich unterscheide mich nicht von anderen Menschen“, antwortete sie und wünschte, es wäre so.
    „Waren Sie ein hübsches kleines Mädchen?“
    Die Frage schmerzte und brachte sie leicht aus dem Gleichgewicht. Ihr wurde schwindelig, als sie vor ihrem geistigen Auge das kleine Mädchen mit den
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