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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment
Autoren: Klaus Frühauf
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Stadt glich der des teilweise offen zutage liegenden Gesteins dieses Planeten, einem satten, ins Rötliche spielenden Braun. Viel mehr war aus dieser großen Entfernung trotz der Vergrößerung durch den Autokopter nicht zu erkennen, nicht die Breite der Straßen, nicht ihre Anordnung und auch nicht die Feinarchitektur der Häuser.
    Der Anblick des fremden Wohnkomplexes führte zu Assoziationen. Maara wurde an ihren Großvater erinnert, einen, wie ihr in ihren jungen Jahren schien, etwas schwerfälligen, großen Mann, der die längste Zeit seines Lebens als Fahrer der schweren Trucks auf den Landstraßen zugebracht hatte. Er sprach wenig, aber sehr laut, eine Angewohnheit, die er selbst auf sein einsames Leben in den geräuschvollen Kabinen der großen Lastwagen zurückführte. Dieser große alte Mann hatte sich über die modernen Wohnsiedlungen stets mit einer Mischung aus Anerkennung und Ablehnung geäußert, er mochte sie nicht und lehnte es mit aller Entschiedenheit ab, in einer von ihnen zu leben, aber er räumte ein, daß sie die einzige reale Möglichkeit bildeten, die ständig anwachsende Bevölkerung der Erde hinreichend mit Wohnraum zu versorgen.
    Er hatte sein Leben lang auf eines der kleines Apartments in einem Reihenhaus am Stadtrand gespart. Das enge Nebeneinander in diesen Hochhäusern gehe ihm eben auf die Nerven, und andererseits störe seine überlaute Stimme sicherlich alle Nachbarn, da nehme er es schon lieber in Kauf, mit etwas weniger Komfort in der Außenstadt zu leben und im Winter die Gehwege von Schnee freihalten oder sich im Sommer um den kleinen Vorgarten kümmern zu müssen.
    Die Gründe solchen Empfindens waren für sie immer ein wenig nebulös geblieben. Sie hatte nicht einzusehen vermocht, wieso ein winziges Gärtchen vor dem Haus besser sein sollte als ein Wald am Rand der Stadt. Ihre Eltern hatten eine Wohnung im vierundzwanzigsten Stock eines Wohnturmes im Südkomplex, den Schnee im Winter entfernten automatische Reiniger, im Sommer wurden die Gehwege durch Rollbesen gesäubert, und das Essen kam mit dem Lift aus der Zentralküche. Das alles war nicht billig, aber es war gut durchdacht und sparte eine Menge Zeit. Einen solchen Service hatten die Großeltern nicht. Und der Lärm? Die Geräusche des Lifts oder der Nachbarn waren nicht störender als die des Windes, der um Grandpas Wohnbungalow pfiff.
    Diese unterschiedlichen Wertvorstellungen, sagte sie sich, resultierten zweifellos aus Differenzen in der Auffassung über den Inhalt und den Sinn des Lebens, es war das, was man oft als Generationsproblem bezeichnete. Die Bedingungen, unter denen eine Zivilisation sich zu entwickeln vermochte, waren ständigen Wandlungen unterworfen, einem Prozeß der Optimierung äußerer Verhältnisse gewissermaßen.
    Ein solcher Prozeß war ohne Anfang und ohne Ende, zwar zeigte er im Detail häufig rückläufige Tendenz, vor allem dann, wenn sich in der Gesellschaft Gruppen etabliert hatten, denen das eigene Wohl wichtiger war als das der Allgemeinheit, und doch war er nicht aufzuhalten auf seinem Weg zum jeweiligen Optimum.
    Und obwohl sie diesen Weg als den einzig gangbaren zu akzeptieren bereit war, reagierte sie nicht anders als die meisten ihrer Mitmenschen und nur wenig anders als Grandpa. Sie mochte die neuen Gemeinschaftshäuser nicht, die in Gruppen- und Intimbereiche gegliedert waren. Aber sie wußte andererseits genau, daß sie sich durchsetzen würden, daß man sie eines Tages als sinnvoll und optimal anerkennen würde. Und dann würde man etwas Neues, noch Effektiveres erfinden.
    Sie bemerkte, daß sie zum erstenmal seit langer Zeit wieder an die Zukunft der Menschheit denken konnte, ohne gleichzeitig Sorge um diese Zukunft zu verspüren.
    Da war mit der zeitlichen Entfernung etwas in ihr herangewachsen, was ein anderes Licht auf die Menschen der Erde warf. Da war die Gewißheit entstanden, daß die Menschen in der Lage sein würden, das Problem ihres Überlebens als Art zu lösen, indem sie ihre Lebensprobleme lösten. Zehn Milliarden vernunftbegabter Lebewesen konnten sich doch nicht in einen Krieg hineintreiben lassen, von dem jeder wußte, daß er zur sicheren Vernichtung der gesamten Gattung führen würde.
    Sie war sich im klaren darüber, daß sich nichts geändert hatte, zumindest nichts, was mit Maßstäben zu messen oder in Tabellen darzustellen wäre. Wenn sich etwas gewandelt hatte, dann war es ihre Einsicht in die Dinge, ihre Erkenntnis allgemeiner Zusammenhänge. Und es
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