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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival
Autoren: Émile Gaboriau
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wobei sie ihr Angelzeug beim Kahn zurückließen, zum Haus des Bürgermeisters von Orcival.
    Fünf Kilometer von Corbeil entfernt am rechten Ufer der Seine gelegen, zwanzig Minuten Fußweg bis zur Bahnstation von Evry, ist Orcival eines der hübschesten Dörfer in der Umgebung von Paris.
    Der lärmende und gierige Pariser, der sich sonntags ins Grüne begibt und dort zerstörerischer als die Heuschrecke wütet, hat diesen bezaubernden Landstrich noch nicht entdeckt. Der ätzende Bratendunst der Destillen hat den Duft des Geißblatts noch nicht verdrängt. Der Gesang der Kahnfahrer und das Trompeten des Ausrufers, der zum öffentlichen Tanz lädt, beeinträchtigen die ländliche Ruhe kaum. Behaglich haben sich die weißen Häuser des Ortes an einen sanft abfallenden Hügel geschmiegt, der von der Seine umspielt wird, und neben den üppigen, schattenspendenden Bäumen ist ein gerade erst fertiggestellter Glockenturm der Stolz von Orcival. Überall erstrecken sich weite parkähnliche Anwesen, deren Unterhalt sicher sehr kostspielig ist, und von der Spitze des Hügels kann man an die zwanzig Wetterfahnen auf ebenso vielen Schlößchen und Herrenhäusern zählen. Zur Rechten hat man die Hochwälder der Mauprévoir und die hübsche Burg der Comtesse de la Bréche; dem Hügel auf der anderen Flußseite genau gegenüber Mousseaux und Petit-Bourg, die ehemalige Domäne derer von Aguado, jetzt im Besitz eines gewissen Monsieur Binder, eines allseits bekannten Wagenfabrikanten, gehört; die schönen alten Bäume zur Rechten gehören dem Comte de Trémorel, der riesige Park ist der Park der Etiolles, und ganz weit unten in der Ferne – das ist Corbeil; und dieses wuchtige Gebäude, dessen Dach durch die großen Eichen lugt, ist die Mühle von Darblay.
    Der Bürgermeister von Orcival bewohnt ganz oben auf dem Hügel eines von diesen Häusern, wie sie einem manchmal inden Träumen von hunderttausend Pfund Einkommen erscheinen. Früher war Monsieur Courtois ein Fabrikant von bedruckter Leinwand, der ohne einen Sou ins Geschäft eingestiegen ist und sich nach dreißig Jahren harter Arbeit mit hübschen vier Millionen zurückgezogen hat. Später gab er sich damit zufrieden, in aller Ruhe mit Frau und Kindern seine Tage zu verleben und den Winter in Paris und den Sommer hier zu verbringen.
    Doch eines Tages kribbelte es plötzlich in seiner Seele. Er hielt das ruhige Leben nicht mehr aus. Er unternahm alles mögliche, um zum Bürgermeister von Orcival gewählt zu werden. Und diese Bürgermeisterei war sowohl sein Glück als auch sein Unglück.
    Nach außen hin war er stets aufgeregt und überlastet. Aber im Grunde hatte er in dieser Aufgabe seine Ruhe wiedergefunden.
    Bei dem Herrn Bürgermeister schlief man noch, als Monsieur und Sohn Bertaud den schweren Türklopfer betätigten. Nach geraumer Zeit tauchte an einem der Fenster im Erdgeschoß der Kopf eines halbangezogenen und zu dreiviertel munteren Bediensteten auf.
    Â»Was gibt's denn, ihr Galgenstricke?« fragte er schlecht gelaunt.
    Das Tönnchen hielt es nicht für nötig, auf eine solche Verunglimpfung einzugehen, die nur zu gut sein Ansehen in der Gemeinde widerspiegelte.
    Â»Wir wollen den Herrn Bürgermeister sprechen«, antwortete er, »und es ist furchtbar eilig. Wecken Sie ihn, Monsieur Baptiste, er wird Sie nicht ausschimpfen.«
    Â»Als ob man mich ausschimpfen würde!« brummte Baptiste.
    Sie brauchten dennoch gut zehn Minuten, um den Domestiken zu überreden. Doch zu guter Letzt wurden die beiden Bertaud zu einem dicklichen, kleinen, rotgesichtigen Mann geführt, der sehr ungehalten darüber war, so früh aus dem Bett geholt worden zu sein; dieser Mann war Monsieur Courtois.
    Sie hatten abgemacht, daß Philippe sprechen würde. »Herr Bürgermeister«, begann er, »wir sind gekommen, uni Ihnen ein großes Unglück zu melden; höchstwahrscheinlich hat bei Monsieur de Trémorel ein Verbrechen stattgefunden.«
    Monsieur Courtois war ein Freund des Comte, bei dieser unerwarteten Erklärung wurde er weißer als sein Hemd. »O mein Gott!« stammelte er, unfähig, seine Erregung zu verbergen. »Was sagen Sie da, ein Verbrechen...!«
    Â»Ja, wir haben eben erst einen Körper entdeckt, und genauso wirklich, wie Sie vor uns stehen, glaube ich, daß es der der Comtesse
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