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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival
Autoren: Émile Gaboriau
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höchste Zeit, Hector trat ein. Er war bleicher als der Tod, seine Augen hatten einen ganz verschreckten Ausdruck.
    Â»Wir sind verloren«, sagte er, »man verfolgt uns. Der Brief, den ich erhalten habe, wurde nicht von dem geschrieben, dessen Unterschrift er trägt, er hat es mir gesagt. Komm, wir brechen auf, wir verlassen dieses Haus...«
    Laurence bedachte ihn mit einem Blick voller Haß und Verachtung und sagte:
    Â»Es ist zu spät.«
    Ihre Haltung und ihre Stimme waren so außergewöhnlich, daß Trémorel trotz seiner Bestürzung aufblickte.
    Â»Was gibt es?«
    Â»Man weiß alles, man weiß, daß du deine Frau umgebracht hast.«
    Â»Das ist nicht wahr.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Â»Na gut! Ja, es ist wahr, ja, ich habe dich so geliebt...«
    Â»Wirklich! Hast du auch aus Liebe zu mir Sauvresy vergiftet?«
    Er begriff. Er war gefangen, er saß in der Falle. Sie waren während seiner Abwesenheit gekommen und hatten Laurence alles gesagt. Er versuchte nicht länger zu leugnen. »Was sollen wir tun?« schrie er. »Was bloß?«
    Laurence zog ihn an sich und murmelte:
    Â»Rette den Namen Trémorel. Wir haben Revolver hier.« Er wich zurück, als stünde der Tod vor ihm.
    Â»Nein«, sagte er, »nein, ich kann noch fliehen, ich verstecke mich, ich gehe allein weg, du kommst dann nach.«
    Â»Ich habe dir schon gesagt, es ist zu spät, die Polizei hat das Haus umstellt. Und du weißt, das bedeutet Bagno oder Schafott.«
    Â»Ich kann durch den Hof entkommen.«
    Â»Er wird bewacht, sieh selbst.«
    Er lief zum Fenster, erblickte Monsieur Lecoqs Männer und wich vor Furcht und Hilflosigkeit halb verwirrt zurück. »Ich kann es trotzdem versuchen«, sagte er, »wenn ich mich nun verkleide...«
    Â»Wahnsinn! Ein Polizeiagent war hier und hat einen Haftbefehl dagelassen.«
    Er sah, daß er hoffnungslos verloren war.
    Â»Also müssen wir sterben«, murmelte er.
    Â»Ja, wir müssen, aber vorher schreibst du noch ein Geständnis deiner Schuld, man könnte Unschuldige verdächtigen.«
    Mechanisch setzte er sich, ergriff die Feder, die ihm Laurence hinhielt, und schrieb: ›Bereit, vor Gott zu erscheinen, erkläre ich, daß ich allein und ohne Komplizen Sauvresy vergiftet und die Comtesse de Trémorel, meine Frau, ermordet habe.‹
    Als er unterschrieben hatte, öffnete Laurence eine Schublade des Schreibtischs, in dem Pistolen lagen. Hector ergriff die eine, sie die andere.
    Aber wie einstmals im Hotel, wie im Zimmer des sterbenden Sauvresy, fühlte er, wie ihn die Kräfte verließen, als er den Lauf an die Schläfe hielt. Er war kreidebleich, seine Zähne klapperten, er zitterte so sehr, daß er die Pistole sinken ließ.
    Â»Laurence«, stammelte er, »meine Vielgeliebte, was soll aus dir werden...?«
    Â»Aus mir! Ich habe geschworen, daß ich dir immer und überallhin folgen werde. Begreifst du?«
    Â»Ah, das ist schrecklich«, erwiderte er nach einiger Zeit. »Ich habe ja gar nicht Sauvresy vergiftet, das war nämlich sie, dafür gibt es Beweise; vielleicht mit einem guten Anwalt...«
    Monsieur Lecoq entging kein Wort und keine Bewegung der Szene. Ob nun absichtlich oder aus Versehen, wer weiß, jedenfalls stieß er gegen die Tür, daß sie knarrte. Laurence glaubte, der Polizist würde ins Zimmer kommen und Hector verhaften.
    Â»Elender Feigling!« rief sie und legte auf ihn an, »schieß oder...«
    Er zögerte. Das Türknarren war erneut zu hören. Sie schoß auf ihn. Trémorel stürzte tödlich getroffen zu Boden.
    Rasch griff Laurence zu der anderen Pistole und hielt sie an ihre Schläfe, als Lecoq auf sie zuhechtete und sie zu Boden riß.
    Â»Mein Gott!« schrie er sie an. »Was tun Sie nur!«
    Â»Sterben. Kann ich denn jetzt noch leben?«
    Â»Ja natürlich«, erwiderte der Detektiv, »Sie können leben, ich würde sogar sagen, Sie müssen leben.«
    Â»Ich bin ein gefallenes Mädchen...«
    Â»Nein. Sie sind ein armes Kind, das von einem Schurken verführt wurde. Sie sind schuldig, das haben Sie vorhin selbst gesagt, also leben Sie, damit Sie Ihre Schuld sühnen können. Das große Leid hat eine Sendung für die Welt, eine Sendung der Demut und des Erbarmens. Leben Sie, und das Gute, das Sie tun, wird Sie dem Leben zurückgeben. Sie sind den betrügerischen
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