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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival
Autoren: Émile Gaboriau
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verzweifelter Energie. »Ich bin seine Komplizin, verhaften Sie mich.«
    Dieser Aufschrei, der wildester Leidenschaft zu entspringen schien, verwirrte Monsieur Lecoq kaum.
    Â»Nein, Madame«, erwiderte er, »Sie sind nicht die Komplizin dieses Mannes. Übrigens ist der Mord an seiner Frau noch die geringste seiner Missetaten. Wissen Sie, warum er Sie nicht geheiratet hat? Weil er zusammen mit Madame Berthe, die seine Mätresse war, Sauvresy, seinen Retter, seinen besten Freund, vergiftet hat. Wir haben Beweise.«
    Das war mehr, als die unglückliche Laurence ertragen konnte. Sie wankte und sank auf das Sofa. Nein, sie zweifelte nicht daran. Diese schreckliche Enthüllung zerriß den Schleier, der bis jetzt für sie über der Vergangenheit gelegen hatte. Ja, die Vergiftung Sauvresys erhellte ihr Hectors ganzes Betragen, seine Lage, seine Furcht, seine Versprechungen, seine Lügen, seinen Haß, sein Verzicht auf sie, seine Heirat und schließlich seine Flucht.
    Dennoch versuchte sie noch – nicht etwa ihn zu verteidigen, sondern die Mitschuld an seinen Verbrechen auf sich zu nehmen.
    Â»Ich wußte es«, flüsterte sie mit einer von Schluchzern unterbrochenen Stimme, »ich wußte alles.«
    Der alte Friedensrichter war verzweifelt. »Wie Sie ihn lieben, mein armes Kind«, sagte er, »wie Sie ihn lieben!«
    Dieser schmerzliche Ausruf gab Laurence etwas von ihrer Haltung wieder. Voller Empörung sagte sie:
    Â»Ihn lieben! Ich? Ach, gehen Sie, mein Freund, ich kann Ihnen mein Verhalten erklären, denn Sie sind würdig, mich zu begreifen. Ja, ich habe ihn geliebt, das ist wahr, so geliebt, daß ich mich selbst vergessen habe. Aber eines Tages hat er sich mir so gezeigt, wie er wirklich ist, von da an hat meine Liebe einen Riß bekommen. Ich wußte nichts von dem schrecklichen Mord an Sauvresy, aber Hector hat mir eines Tages gestanden, daß Berthe seine Ehre und sein Leben in den Händen halte... und daß sie ihn liebt. Ich habe es ihm freigestellt, mich zu verlassen, sich zu verheiraten, mein Leben dem zu opfern, von dem ich glaubte, es sei sein Glück. Als ich mit ihm floh, opferte ich mich dann doch. Als ich merkte, daß es unmöglich wurde, meine Schande länger zu verbergen, wollte ich sterben. Wenn ich lebe, wenn ich meiner Mutter einen Lügenbrief geschrieben habe, wenn ich, in einem Wort, Hectors Bitten nachgegeben habe, so, weil er mich im Namen meines Kindes..., unseres Kindes gebeten hat.«
    Monsieur Lecoq, der spürte, wie die Zeit davonlief, versuchte einen Einwand, Laurence beachtete ihn gar nicht. »Aber was soll's!« fuhr sie fort. »Ich habe ihn geliebt, ich bin ihm gefolgt, ich gehöre zu ihm. Beständigkeit, nun, das ist die einzige Entschuldigung für meinen Fehler. Ich werde meine Pflicht tun. Ich werde nicht unschuldig sein, wenn mein Geliebter ein Verbrechen begangen hat, ich bin genauso schuldig wie er.«
    Sie sprach so lebhaft, daß der Beamte der Sûreté keine Möglichkeit sah, sie zu beruhigen. Doch da erklangen von der Straße zwei schrille Pfiffe. Trémorel war zurück, er durfte nicht länger zögern. Brutal packte er Laurence am Arm. »All das, Madame«, sagte er kalt, »werden Sie Ihren Richtern sagen können, meine Befehle betreffen nur Monsieur Trémorel. Hier ist übrigens der Haftbefehl...«
    Mit diesen Worten zog er den von Monsieur Domini ausgestellten Haftbefehl aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.
    Mit äußerster Willenskraft hatte sich Laurence dazu gezwungen, ruhig zu bleiben.
    Â»Sie werden mir doch fünf Minuten gewähren, die ich mit Monsieur de Trémorel unter vier Augen sprechen kann?« bat sie.
    Monsieur Lecoq frohlockte. Genau diese Bitte hatte er erwartet.
    Â»Fünf Minuten, gut«, erwiderte er. »Aber erliegen Sie nicht der Hoffnung, Madame, dem Delinquenten zur Flucht zu verhelfen, das Haus ist umstellt; schauen Sie auf den Hof und auf die Straße, Sie werden unschwer meine Männer erkennen. Im übrigen bleibe ich hier im Nebenzimmer.«
    Sie hörten den Comte die Treppe hochkommen.
    Â»Das ist Hector«, sagte Laurence, »schnell, verstecken Sie sich.« Und als der Detektiv und Vater Plantat im Nebenzimmer verschwunden waren, fügte sie leise hinzu, aber nicht so leise, daß es Lecoq nicht gehört hätte: »Seien Sie unbesorgt, wir fliehen nicht.«
    Sie machte die Tür zu; es war
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