Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Höchst unklug natürlich, aber sie hatte da noch keinen Anwalt.»
    «Was gab sie als Grund an?»
    «Sie habe Selbstmord begehen wollen; aber sie konnte nicht erklären, wieso die Flasche leer war, auch nicht, wieso nur ihre Fingerabdrücke drauf waren. Das war das Belastendste. Sie behauptete steif und fest, Amyas Crale habe Selbstmord begangen. Wenn er aber das Koniin aus der Flasche genommen hätte, hätten auch seine Fingerabdrücke drauf sein müssen.»
    «Man hat es ihm doch in Bier verabfolgt?»
    «Ja. Sie holte die Flasche aus dem Eisschrank und brachte sie ihm in den Garten, wo er malte. Sie schenkte ihm ein und sah zu, wie er das Glas austrank. Später gingen alle zum Mittagessen, und er blieb bei seiner Arbeit, wie er es oft tat. Als sie und die Gouvernante nach dem Essen zu ihm kamen, war er tot. Sie behauptet, dass in dem Bier, das sie ihm eingeschenkt hatte, nichts gewesen sei. Unsere Theorie ging dahin, dass er plötzlich nicht mehr ein noch aus wusste und solche Gewissensbisse empfand, dass er Gift nahm. Das ist natürlich Unsinn, das passte gar nicht zu ihm. Die Fingerabdrücke auf der Flasche waren das Schlimmste.»
    «Man fand ihre Fingerabdrücke auf der Bierflasche?»
    «Nein… nur seine… und die waren falsch. Während die Gouvernante fortgegangen war, um einen Arzt zu holen, blieb sie allein bei der Leiche. Vermutlich hat sie die Flasche und das Glas abgewischt und dann seine Finger drauf gedrückt, um behaupten zu können, sie habe diese Flasche und das Glas nicht angerührt. Aber das nützte ihr nichts. Der alte Rudolph, der Staatsanwalt, konnte zu seinem großen Vergnügen bei der Verhandlung demonstrieren, dass ein Mensch niemals eine Flasche auf diese Weise halten könnte. Natürlich taten wir alles, um das Gegenteil zu beweisen – dass seine Finger sich im Todeskampf verkrampft hätten –, aber das Argument war sehr dünn.»
    «Das Gift muss in die Flasche getan worden sein, bevor sie sie in den Garten brachte.»
    «In der Flasche waren keine Giftspuren zu finden, nur im Glas.»
    Er hielt inne; sein Gesicht verzog sich plötzlich, und er sagte scharf:
    «Einen Moment! Auf was wollen Sie eigentlich hinaus, Poirot?»
    «Wenn Caroline Crale unschuldig war», antwortete Poirot, «wie ist dann das Gift in das Bier gekommen? Sie behaupteten in Ihrem Plädoyer, dass Crale es selbst hineingetan hätte, aber Sie sagen mir, dass das höchst unwahrscheinlich war, und ich muss Ihnen zustimmen. Er war nicht der Mann dafür. Wenn also Caroline Crale es nicht getan hat, hat es jemand anders getan.»
    Depleach platzte heraus:
    «Verdammt noch mal, Menschenskind, versuchen Sie doch nicht, ein totes Pferd aufzuzäumen. Die ganze Sache ist seit Jahren begraben und vergessen. Natürlich war sie es. Wenn Sie sie damals gesehen hätten, würden Sie es auch glauben. Es stand ihr im Gesicht geschrieben. Ich hatte sogar den Eindruck, dass das Urteil eine Erleichterung für sie bedeutete. Sie hatte keine Angst; sie war die Ruhe selbst. Sie wollte nur alles hinter sich haben. Sie war wirklich eine tapfere Frau…»
    «Und doch hinterließ sie vor ihrem Tod einen Brief für ihre Tochter, in welchem sie schwor, unschuldig zu sein.»
    «Selbstverständlich», erwiderte Depleach, «Sie oder ich hätten das an ihrer Stelle auch getan.»
    «Ihre Tochter behauptet, dass ihre Mutter niemals die Unwahrheit geschrieben hätte.»
    «Die Tochter… Lächerlich! Was weiß die davon? Mein lieber Poirot, die Tochter war damals doch ein kleines Kind… vier oder fünf Jahre alt. Was kann sie schon wissen?»
    «Kinder wissen oft mehr, als man denkt.»
    «Mag sein, aber in diesem Fall bestimmt nicht. Natürlich möchte die Tochter gern daran glauben, dass die Mutter unschuldig war. Lassen wir ihr den Glauben; das tut keinem Menschen weh.»
    «Leider verlangt sie aber Beweise!»
    «Beweise, dass Caroline Crale ihren Mann nicht umgebracht hat?»
    «Ja.»
    «Die wird sie nicht bekommen.»
    «Glauben Sie?»
    Der berühmte Strafverteidiger blickte Poirot nachdenklich an.
    «Ich habe Sie immer für einen ehrlichen Menschen gehalten, Poirot. Wollen Sie nun etwa aus dem natürlichen Pietätgefühl einer Tochter Kapital schlagen?»
    «Sie kennen Carla Lemarchant nicht. Sie ist höchst ungewöhnlich, ein Mädchen von großer Charakterstärke.»
    «Das kann ich mir vorstellen. Die Tochter von Amyas und Caroline Crale… Was will sie denn…»
    «Die Wahrheit.»
    «Hm… ich fürchte, die würde ihr nicht schmecken. Ehrlich, Poirot, ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher