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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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wahrlich paradiesische Zustände.
    »So paradiesisch, wie du dir das von Prag aus vorstellst, ist es hier nun wieder nicht«, murrt Heartfield. »Erstens kann aus mir niemals ein Engel werden, zweitens fluche ich bekanntlich gern, und das ist in diesem Lokal sehr unerwünscht. Dazu plagt mich oft auch noch Platzmangel!«
    »Platzmangel, Johnny, in der Unendlichkeit?«
    »Ja, wo glaubst du denn, daß ich meine Montagen im hiesigen Infinitum anbringen kann? In den Himmelsgazetten dürfen nur sang- und klanglos sachliche und kommentarlose Nachrichten vom Erdball publiziert werden. Etwas Langweiligeres kann man sich kaum vorstellen. Die Wände des Cafés sind durchweg ätherisch, also zu nichts Handfestem zu gebrauchen, Wolken sind in ständiger Bewegung; ein paarmal habe ich versucht, die Tischplatten zu bekleben, aber da haben die Kollegen ganz schön gebrummt. Ansonsten ist es hier aber recht angenehm, man kriegt eine Fülle von Ideen in dieser bunten Gesellschaft.«
    In der Aufzählung von Gästen fremder Herkunft in meinem Traumcafé könnte ich beliebig fortfahren, denn Prag war in den dreißiger Jahren ein gastliches, von keinerlei Ausländerfeindlichkeit heimgesuchtes Asylland.
    Ich selbst kehrte nach dem zweiten Weltkrieg als Frau eines Jugoslawen in meine Heimat zurück, und es kostete mich in den politisch verrückten fünfziger Jahren allerhand Anstrengung, Ausdauer und Dickfelligkeit, meine tschechoslowakische Staatszugehörigkeit wieder zugesprochen zu bekommen. Da ich keine Stelle kannte, bei der ich mich über die langwährende, unfreundlicheund immer wieder ins Stocken geratene Prozedur beschweren konnte, wandte ich mich wie üblich in solchen verzwickten Fällen an meine Beschützer im Traumcafé.
    Dort spitzt man die Ohren. Der einstige Prager Stadtrat Egon Erwin Kisch, der einstige tschechoslowakische General, Arzt und Schriftsteller František Langer, Karel Capek, in den dreißiger Jahren tschechischer Dramatiker von Weltruf und vertrauter Freund des Begründers der tschechoslowakischen Republik Professor T. G. Masaryk, Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel, Friedrich Thorberg, Gustav Meyrink und Rudolf Fuchs, Ludwig Winder und Ernst Sommer, sie alle sind Prager Kinder, selbst wenn manche von ihnen in einer anderen böhmischen Stadt das Licht der Welt erblickt haben und etliche von hier fortgezogen sind – sie alle sind ein wenig erstaunt und gleichzeitig auch ein bißchen sentimental davon berührt, daß mir so sehr daran gelegen war, wieder tschechoslowakische Staatsbürgerin zu sein. Ahnte ich denn wirklich nicht, daß nur einige Jahre später von neuem eine Zeit kommen und die bedrückende Stimmung um sich greifen werde, gerade diese Staatsbürgerschaft loszuwerden, um als freier Mensch in einem anderen Land frei leben zu können? Mag sein, daß aus weltumfassender Perspektive die stürmischen Ereignisse des Jahres 1968 und ihre mit Panzern überrollte Hoffnung schon in vagen Umrissen befürchtet werden konnten. Als es mir darum ging, in Prag wieder festen Fuß zu fassen, wußte ich noch nichts davon.
    »Es gab ja noch nicht einmal den Anfang oder den kaum beabsichtigten Auftakt einer ganzen Kette weiterer Begebenheiten, die alles Bisherige in Frage geraten ließen«, sage ich erklärend in Richtung Jenseits. »Wasdann zwanzig Jahre später kam, war allerdings von solcher Vehemenz, daß es gleich einige Kapitel Geschichte überschlug.«
    »Wir verstehen nicht ganz, was Sie meinen.« Die leicht bedeckte Stimme des immer höflichen Dichters und Übersetzers tschechischer Lyrik Rudolf Fuchs, dem ich es verdanke, daß ich als neunzehnjähriges Mädchen zum ersten Mal ein Gedicht von mir im Prager Tagblatt veröffentlicht sah, und der in der Verdunkelung während eines der deutschen Blitzangriffe auf London unter den Rädern eines Busses den Tod fand, ist aus dieser Weite kaum zu verstehen. »Sie scheinen beunruhigt zu sein, können Sie uns sagen, was Sie bekümmert?«
    »Ich meine den überraschend schnellen und unaufhaltsamen Auflösungsprozeß, der mit so rasanter Wucht einsetzte. Wer konnte voraussehen, daß es in atemberaubender Folge keine Sowjetunion mehr geben wird, kein Jugoslawien und auch keine Tschechoslowakei.«
    »Rede keinen Unsinn«, fährt der einstige Prager Stadtrat Kisch verärgert dazwischen, »was soll das heißen – keine Tschechoslowakei?«
    Wogen durchaus erdgebundener Leidenschaft werden in diesem Augenblick im sonst friedlich versonnenen Traumcafé spürbar.
    »Aber meine
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