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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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überleben. Und in der derzeitigen Situation konnten sie es sich nicht erlauben, wählerisch zu sein.
    Hastig eilte er an Thars’ Seite zurück. Der lag regungslos da.
    Wie ein Stück totes Treibholz, ging es Cyrian durch den Kopf.
    „Thars“, sagte er besorgt und berührte den massigen Körper behutsam an der Schulter. Nicht, dass das Tier erschrak und ihm womöglich noch den Arm abriss.
    „Thars, ich habe Nahrung für dich. Wach auf.“ Er schob den Beutel mit seinem Fang direkt unter die Nase des Tiers, was den gewünschten Erfolg brachte. Ein Auge klappte mühsam auf, als wäre das Lid bleischwer. Dann das andere. Die Nasenflügel begannen zu beben. Eine zitternde Hand streckte sich nach einem Krebs aus.
    „Gut so. Iss!“, drängte Cyrian seinen seltsamen Gefährten. „Iss alles auf. Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht finden.“
    Der Krebs wanderte ohne Umstände zwischen Thars’ Zähne, mit Panzer, mit Scheren, mit allem. Es knackte und knirschte, als das Tier hungrig kaute und bereits nach dem nächsten Bissen griff. Eine Muschel verschwand zwischen seinen Lippen, ebenfalls mit Schale. Es schien Thars egal zu sein. Hungrig und mit immer rascheren Bewegungen stopfte er sich die Nahrung in den Mund. Zufrieden schaute ihm Cyrian zu. Er hatte offenbar helfen können, denn er glaubte zu bemerken, wie die Lebensgeister in dem Tier erwachten.
    „Iss weiter und ruh dich hier aus. Beim Sammeln habe ich eine Fischerkate entdeckt. Ich will sie mir aus der Nähe betrachten.“
    Bevor er allerdings aufspringen und losmarschieren konnte, umklammerten Finger sein Handgelenk. Ein eindringlicher Blick traf ihn.
    „Danke, Engel, mein Süßer. Ich danke dir“, stammelte Thars mit heiserer Stimme. Diese ehrliche, offene Dankbarkeit brachte Cyrian zum Glühen. Noch nie hatte ihm jemand mit einer solchen Inbrunst gedankt. Es tat unbeschreiblich wohl … Hastig blinzelte er, um nicht wie ein Baby loszuflennen.
    „Bleib hier. Ich komme bald wieder. Geh ja nicht fort“, sagte er.
    „Engel, geh nach Osten. Such dir in einem Fischerdorf ein neues Heim und vergiss mich.“ Das Tier ließ ihn los und aß weiter, bedächtiger dieses Mal.
    „Ich bin kein großer Freund von Fisch, Thars. Und schau mich an! Jedermann wird auf den ersten Blick wissen, was ich bin. Sie brauchen sich bloß meine Hände anzusehen.“
    „Was ist mit deinen Händen?“ Thars hielt mitten im Kauen inne und starrte auf Cyrians hochgehaltene Handflächen.
    „Keine Schwielen“, erklärte Cyrian leichthin. „Vom Wichsen fremder Schwänze bekommt man keine Schwielen. Auch wenn es harte Arbeit ist.“ Er lachte über seinen eigenen Witz, allerdings lachte Thars nicht mit, sondern musterte ihn stattdessen ernst.
    „Brudfor erleuchte dich, Tier. Jeder Dorftrottel sieht mir mein Gewerbe gleich an. Oder bist du schon mal einen Fischer mit einem solchen Hüftschwung begegnet?“ Er stolzierte mehrere Schritte vor Thars auf und ab, wobei er übertrieben mit dem Hintern wackelte.
    „Mach dich nicht runter, Engel. Du bist kein schlechter Junge.“
    „Nein, aber ein verhurter.“ Cyrian merkte selbst, dass seine Stimme schärfer wurde.
    „Merkst du gar nicht, was du in deiner Güte auf dich genommen hast?“ Thars deutete auf die zahlreichen Schrunden, die sich Cyrian beim Sammeln der Muscheln und Krebse zugezogen hatte. Sie brannten höllisch und vereinten sich mit seiner schmerzenden Nase zu einem netten Leidenspaket.
    „Du bist verrückt, Tier, völlig verrückt“, flüsterte Cyrian. Sie wechselten in dem Mondlicht und zu dem Wellensäuseln mehrere Blicke.
    „Ich bin bald zurück“, wiederholte Cyrian schließlich seine Worte.
    „Und ich werde hier auf dich warten“, versprach das Tier.

    Zunächst wusch sich Cyrian in einem Priel den Gestank der Kanalisation von seiner Haut und aus seinen Locken. Erst dann machte er sich zu dem Fischerhäuschen auf. Obwohl es relativ mild war, wehte ein kühler Wind vom Meer her und brachte seinen schmalen Körper zum Schlottern. Sie brauchten dringend Kleidung und Nahrung, eine Waffe und vor allem Geld. Leider war die Kate nicht unbewohnt, wie Cyrian im Stillen gehofft hatte. Er umschlich das kleine windschiefe Häuschen, das sich in den Schutz mehrerer Felsen drückte und entdeckte endlich ein verzogenes Fenster, das nicht mehr richtig schloss. Einiges hatte er bei Meister Flinkfinger offenbar doch gelernt, denn es gelang ihm relativ schnell in die Kate einzubrechen. Ohne sich zu bewegen, blieb er eine ganze
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