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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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krepieren. Obwohl – das würde er auf jeden Fall. Sein wilder Zorn hatte ihn aus dem Kerker herausgebracht und angehalten, bis er fast das Ende der Kanalisation erreicht hatte. Das war gut, niemand würde sie finden. Thars witterte, dass seit Wochen kein Mensch mehr in dieser Gegend gewesen war. Doch er war jetzt völlig entkräftet, wie stets nach dem Rausch. So konnte er keine Nahrung suchen. Für sein Bein sorgen war ebenfalls unmöglich. Vor Schmerz winselnd ließ er sich am Boden nieder. Er würde hier sterben. In Freiheit. Beim Meer, das er Zeit seines Lebens geliebt hatte. Er hatte den Mond gesehen, im Wasser gebadet. Sicherlich würde er auch die Sonne erblicken dürfen. Brudfor war ihm gnädig, er hatte seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt.
    „Was ist mit dir?“, flüsterte sein Engel, der sich zu ihm setzte.
    „Ruh dich aus“, brummte Thars. „Wenn es hell wird, musst du gehen. Halte dich östlich, immer in Küstennähe, da wirst du ein Fischerdorf finden. Junge gesunde Burschen sind immer und überall willkommen, man wird dich ganz bestimmt aufnehmen.“
    „Und du?“
    Brudfor, was für eine reine Seele hatte dieses Kind! Es trieb ihm die Tränen in die Augen, dass sich dieser Junge tatsächlich um ihn, das bösartige Tier, Sorgen machte.
    „Ich sterbe. Lass mich einfach, es wird wohl nicht lange dauern.“

    Cyrian blickte auf den erschöpft wirkenden Mann herunter. Er wirkte nicht wie ein Tier, überhaupt nicht. Aber wie hatte er sich von den Ketten befreit? Wie die Wärter überwältigt? Und wie war es ihm möglich gewesen, mit der Schusswunde so schnell und so weit zu laufen? Zu viele Fragen für diesen Moment.
    „An dieser Schusswunde stirbt man nicht. Sieh mal, die Kugel hat ein sauberes rundes Loch hinterlassen und das Salzwasser wird die Wunde gereinigt haben. Es blutet auch kaum noch …“
    „Es ist nicht die Kugel, die mich umbringt, Engel.“
    Hilflos fing Cyrian zu lachen an. Engel! Es wurde immer besser.
    „Warum lachst du?“, fragte Thars verwundert.
    „Du hast mich erst Süßer genannt und dich jetzt zum Engel gesteigert. Ich frage mich, welchen Namen du dir als nächstes für mich ausdenkst.“
    „Warum verachtest du dich?“
    Diese Frage kam völlig unerwartet.
    „Süßer Engel?“
    „Ich zähle zum Bodensatz der Gesellschaft. Hör auf, mich derartig zu betiteln. Erklär mir lieber, wieso du dich hier zum Sterben hinlegst.“
    Während ihres Geplänkels war das Tier sichtlich in sich zusammengesackt. Cyrian begann sich ernsthafte Sorgen zu machen. Thars hatte seltsam verletzlich ausgesehen, als er sich in den Wellen gewaschen hatte. In diesem Moment hatte er alles andere als bedrohlich gewirkt.
    „Hunger“, flüsterte das Tier mit einem schwachen Lächeln. „Wenn der Zorn aufsteigt … es kostet mich meine ganzen Energien.“
    Das leuchtete Cyrian ein. Und da es hier keinen Bäcker um die Ecke gab und seine Münzen weit entfernt in Hockenbruck in ihrem Versteck lagen, würden sie auch noch eine Weile Kohldampf schieben müssen. Er musterte Thars, der jetzt zwischen den muschelbesetzten Felsen flach am Boden lag und immer stiller wurde.
    „Ich habe schon einmal des Nachts Krabben gesucht“, flüsterte Cyrian, um das Tier nicht zu stören. Vorsichtig beugte er sich hinab und strich Thars eine wirre Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein alter Mann war dieser Mörder nicht, wie er im schwachen Mondlicht zu erkennen glaubte. Möglicherweise um die Dreißig. Es war schwer zu schätzen, da der zottige Bart und das strähnige Haar ihn älter wirken ließen.
    Abrupt wandte sich Cyrian von dem Tier ab, griff nach dem Fetzen, der einmal Thars’ Hemd gewesen war und suchte sich bedächtig einen Weg zum Wasser. Zweimal rutschte er auf den algenbedeckten Felsen aus und schrammte sich schmerzhaft die Beine an den scharfkantigen weißen Muscheln auf, die die Steine überkrusteten. Dann entdeckte er die erste huschende Bewegung und sein Jagdeifer erwachte. Rasch griff er zu, nahm das gemeine Zwicken in seine Finger klaglos hin, tötete den Krebs mit einem Schlag gegen den Fels und ließ ihn in seinen provisorischen Beutel fallen.
    „Eins“, wisperte er über das Rauschen der Wellen hinweg. Und wo einer war, da würden auch andere sein.
    Eine Stunde lang mühte sich Cyrian zwischen den Felsen ab, sammelte Muscheln, Krabben und Krebse. Als er einen angespülten toten Fisch fand, nahm er nach kurzem Zögern auch ihn mit. Das Tier hatte in den Kerkern weit Schlimmeres essen müssen, um zu
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