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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt
Autoren: Tom Kahn
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höflich, »aber was hat die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland
     damit zu tun?«
    »Der Tote ist Deutscher.«
    »Ich verstehe. Ja, dafür sind wir wohl zuständig.« Wittenstein vermochte sein Erstaunen nicht ganz zu verbergen. »Ich bin
     Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich persönlich hier herbemüht haben. Ich bin sicher, unsere Konsularabteilung wird sich gleich
     morgen um den Fall kümmern   ...«
    »In diesem Fall nicht. Sehen Sie!« Der Kommandant legte ein Foto auf den antiken Tisch.
    Der Botschafter warf einen angewiderten Blick auf das krasse Schwarzweiß-Bild. »Ein Toter. Na gut. Aber ich kann nichts Besonderes
     erkennen«, sagte er schließlich. »Wer war dieser Mann?«
    »Ein Religionswissenschaftler. Sein Visum besagt, dass er zu Forschungszwecken im Land war.«
    »Ein Religionswissenschaftler? Das ist in der Tat ungewöhnlich. War es ein Raubmord?«
    »In der Volksrepublik gibt es so etwas nicht«, sagte Tang mit einem ärgerlichen Knurren. »Ausländer werden in China mit größter
     Freundlichkeit empfangen, das ist Ihnen doch sicher schon aufgefallen.«
    »Ja, selbstverständlich«, besänftigte Wittenstein den |35| empörten Offizier. »Aber was sollte es sonst für Motive geben?«
    »Sehen Sie genauer hin, Exzellenz. Da unten, auf seinem Handrücken.«
    Auch der
Butler
trat näher und musterte das Foto angestrengt. Man konnte nur schwer etwas erkennen. Die Aufnahme war nicht ganz scharf und
     recht dunkel. Aber es erschien deutlich eine geometrische Figur.
    »Mein Gott   ...« In diesem Augenblick durchfuhr es den Botschafter. Vor seinen Augen stand unerwartet das schuldbeladenste Symbol der
     deutschen Geschichte.
    »Die Vergangenheit holt uns ein.« Der Graf war sichtlich betroffen, eine Reaktion, die man durchaus erwarten würde, überlegte
     Tang Wu. Ganz anders Stahlmann. Er wirkte unverhältnismäßig angespannt, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Der Tote hat es offenbar mit letzter Kraft auf seine Hand gemalt, bevor er starb«, erklärte Tang Wu.
    Der Botschafter war immer noch peinlich berührt. »Ich kann mir nicht erklären, wie dieses Schandmal plötzlich in China auftaucht.«
    »In der TAR, um genau zu sein«, ergänzte der Kommandant. Die Tibetische Autonome Region, das war der offizielle chinesische
     Name für Tibet.
    Bei diesen Worten war sogar Stahlmann zusammengezuckt. Tang Wu registrierte es mit Genugtuung.
    »Verstehe«, sagte der Botschafter. »Wir bewegen uns auf diplomatisch heißem Boden und die Implikationen sind unübersehbar.
     Berlin würde nicht erfreut sein, davon zu erfahren. Von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen.«
    Der Graf machte nachdenklich ein paar Schritte zum Fenster. »In einer Woche erwarten wir den Bundeskanzler |36| , den Außenminister und eine Delegation der wichtigsten Vertreter der deutschen Wirtschaft in Peking. Ein Skandal wäre wirklich
     das letzte, was wir jetzt brauchen!«
    »Das sehe ich auch so«, sagte der Geheimdienstchef und betrachtete Stahlmann dabei aus den Augenwinkeln.
    »Wer weiß denn bisher von der Sache?«, fragte Stahlmann und spielte den mäßig Interessierten.
    »Niemand außer uns dreien. Die Polizisten, die anfangs damit betraut waren, sind zu Verschwiegenheit verpflichtet worden«,
     sagte Tang Wu.
    »Ich danke Ihnen, dass Sie damit zu mir gekommen sind, Kommandant«, sagte der Botschafter. »Ich weiß das Vertrauen zu schätzen.
     Ich werde mich sofort darum kümmern. Das ist ein Fall von höchster politischer Brisanz für uns.«
    Nicht nur für Sie.
Tang Wu sah den Botschafter durchdringend und erwartungsvoll an.
    Wie nicht anders zu erwarten, hatte der Anblick des Hakenkreuzes den empfindlichsten Nerv des Deutschen getroffen und zugleich
     die unangenehmsten Gefühle bei ihm ausgelöst. Der Botschafter hatte den Köder geschluckt.
     
    Tang Wu erinnerte sich kurz an die Nacht vor vier Tagen zurück, als er das Foto und den Bericht von der örtlichen Dienststelle
     in Tibet erhalten hatte. Der diensthabende Offizier hatte gut reagiert und die Sache von Anfang an als
streng geheim
eingestuft. Opfer und Tatort gaben dazu Anlass genug. Aber da war dem Agenten das ganze Ausmaß der Sache noch nicht klar gewesen.
     Trotzdem hatte er die Information im Tagesbericht ans Politbüro und die Ministerien weitergegeben.
    |37| Welche Kreise die Affäre dann tatsächlich ziehen sollte, hatte ihn selbst überrascht. Zwei Tage später war er zum Rapport
     beim Innenminister und dann zu einem Gespräch mit
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