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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt
Autoren: Tom Kahn
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Morgendämmerung tauchte Lhasa in ein magisches Licht, als sie auf den Dachgarten kamen. Decker atmete tief durch und begrüßte
     innerlich die klirrende Kälte. Er ließ seinen Blick durch die glasklare Höhenluft wandern – auf die weißen Gipfel des Himalajas.
     Sie türmten sich bis an die Sterne, die hier märchenhaft hell funkelten. Decker genoss dieses Bild der Reinheit und Weite.
    Li Mai nahm im Cockpit Platz, startete die Turbine und winkte Decker herbei, der in Gedanken versunken an der Mauer stand.
     Er kam, schwang sich auf den Sitz und griff nach dem Steuerknüppel. »Gestatten, Frau Major?«
    »Gern.« Li Mai lächelte und Decker spürte mit der gewaltigen Kraft der Maschine in seinen Händen wieder die Lebensgeister
     in sich aufsteigen. Er hob zunächst nur einen Meter ab, zog das Fahrwerk ein, trat leicht in die rechte Pedale, drehte damit
     langsam um die Hochachse und nahm noch einmal den Rundumblick durch die Windschutzscheibe in sich auf. Es waren seine letzten
     Sekunden im Bannkreis dieses mysteriösen Palastes. Er verließ ihn mit dem schmerzlichen Gefühl, unverrichteter Dinge abziehen
     zu müssen.
    Der Potala hatte sein Geheimnis nicht preisgegeben. Der Tempel des Schreckens blieb ihnen verschlossen.
    |384| Dann zog er mit der linken Hand an der Pitch und stieg in die Höhe. Als er über das Dach hinausschwebte, drückte er den Steuerknüppel
     von sich weg und brachte die Maschine in den Vorwärtsflug.
    »Geht’s uns wieder gut?« Li Mai lächelte ihn an.
    Decker nickte grinsend. Zum ersten Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit erfreute ihn wieder Li Mais Schönheit. Dann nahm er
     Kurs auf ihr nächstes Ziel. Sein Auftrag war noch nicht ganz abgeschlossen.
     
    Die ersten Sonnenstrahlen erreichten inzwischen den kleinen Flughafen von Lhasa. Vom Helikopter aus sah Decker den roten Jet
     auf dem Vorfeld stehen. In rasantem Bogen umflog er die Landestelle und setzte dann direkt daneben auf. Während Decker die
     Maschine abschaltete, schaute er Li Mai an: »Ich hätte jetzt nichts gegen einen guten Kaffee.«
    Eine Stunde später, nach einer heißen Dusche und einem ausgiebigen Frühstück saß Decker wieder über seinen Unterlagen. Der
     Jet war auf dem Flug nach Peking, wo Decker und Li Mai bereits vom Präsidenten erwartet wurden. Der größte Teil der Arbeit
     lag hinter ihnen.
    Aber zum Nachdenken und für nostalgische Gefühle hatte er jetzt noch keine Zeit. Decker bereitete seinen Bericht für die Übergabe
     vor.
    Peking wollte eine klare, übersichtliche Gegenüberstellung der schriftlichen Aussagen des Dalai Lama mit den historischen
     Realitäten. Stichpunktartig in Präsentationsform. Ebenso sollten die wichtigsten Zitate der journalistischen und politischen
     Anhänger besonders aus deutschen Reihen an den entsprechenden Platz gebracht und ebenfalls mit der Realität konfrontiert werden.
    Am Ende passten Bilder, Fotos, Zeitungsartikel, Websites |385| , Literaturliste und Quellenangaben, aber auch der gesamte ausformulierte Text der Befunde und Ergebnisse auf eine einzige
     CD-ROM.
    Decker hielt die Scheibe andächtig in der Hand. Ein Stück Plastik mit genug Material, um einen Gottkönig vom Podest zu stürzen.
     Und um ein vergessenes Kapitel des Dritten Reiches zu beleuchten.
    Eine Scheibe aus Plastik genügte, um weltweit gehegte Vorstellungen über den Haufen zu werfen. Eine Scheibe aus Plastik.
    Die nie jemand erhalten wird.
    Die nie an die Öffentlichkeit kommen würde.
    Das war Teil der Abmachung. Was immer Decker auch aufgedeckt hatte, es musste im Dunkeln bleiben.
    Die Welt würde nichts davon mitbekommen. Die Wahrheit nie erfahren. Keine Sensation. Keine Schlagzeilen.
    Es gab keine Zeugen. Außer Li Mai. Aber Decker und sie mussten schweigen.
    Er warf die CD wie ein Frisbee auf einen der Sessel, legte seine Füße auf den Tisch und verschränkte die Hände hinter dem
     Kopf.
Internationale Politik.
Manchmal war es einfacher, wenn man nicht alles wusste.
    »Na, Clint Eastwood, Cowboystiefel auf dem edlen Lacktisch aus dem 16.   Jahrhundert?« Li Mai kam in den Raum und setzte sich lachend Decker gegenüber. »Wenn das der Eigentümer sieht.«
    Decker sah sie an. Sie trug ein dunkles Kostüm von Chanel, das ihre Figur an jeder Stelle dezent betonte. Was der Eigentümer
     wohl sagen würde, wenn er jetzt mit ihr noch ganz anderes auf diesem Schreibtisch anstellen würde? Sie blickte ihm tief in
     die Augen und es knisterte. Sollte er es wagen?
    |386| In dem Moment
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