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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans
Autoren: Barbara Goldstein
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sie als Einzige noch am Leben ist, während alles, was sie liebt, nicht mehr existiert. Kein Empfinden von Hoffnungslosigkeit, kein Gefühl von lähmender Ohnmacht, das wie Eiskristalle durch meine Adern rauscht und meinen ganzen Körper zittern lässt wie in einem Eissturm. Nein, dieses Mal war es anders. Ich habe niemandem beim Sterben zugesehen, nicht meinem Mann, nicht meinem Sohn, nicht den Hashishin, die auf Befehl des Sultans hingerichtet wurden.
    Ich atme tief durch.
    Nein, heute Nacht war es ein anderer Traum. Eine Reise in die Hölle. Nicht schlimmer als die Hölle, in der ich seit vier Monaten lebe. Aber auch nichts für schwache Nerven.
    Vor wem bin ich geflohen?
    Ein dunkler Schatten in wallender schwarzer Kukulle und mit einer Kapuze auf dem Kopf, ein nicht greifbares Wesen mit unklaren Umrissen. So hat Yannic ihn mir beschrieben: eine schreckliche Kreatur aus der Schattenwelt. Ein Diener Satans, die Inkarnation von Grauen und Todesangst.
    Was er mir beschrieben hat, war für mich unvorstellbar. Und doch! Aufgewühlt von unserem Getuschel hatte ich diesen entsetzlichen Albtraum.
    Yannic hat Todesangst, das hat er mir vorhin gestanden, als wir nach der Komplet endlich allein waren. Der Prior belauerte uns den ganzen Tag lang misstrauisch, während der gemeinsamen Stundengebete ebenso wie bei den Mahlzeiten im Refektorium. In der Abtei gilt das Schweigegebot, die Mönche verständigen sich nur durch Handzeichen. Was haben Yannic und ich also miteinander zu tuscheln?
    Seine braunen Augen waren weit aufgerissen, als er sich mir nach dem Nachtgebet anvertraute, seine Hände zitterten so sehr, dass ich sie in meine nahm und festhielt. Er war noch gefangen in seinen Erinnerungen an jene nebelige Nacht. Seit dem Mord an Vittorino habe er seinen Seelenfrieden verloren, finde er nachts keine Ruhe mehr, fühle er sich verfolgt und bedroht. Oh, Yannic, wie gut ich dich in diesem Augenblick verstand, wie nahe du mir warst! In der Abbaye du Mont-Saint-Michel gehe etwas vor, das er nicht begreifen könne, vertraute er mir an. Die Toten, die Schatten, die Furcht. Das Böse sei Wirklichkeit geworden in den düsteren Gewölben unterhalb der Abteikirche. Im Flüsterton fügte er hinzu: »Die Konfratres glauben, Satan wolle Besitz ergreifen von der Welt.«
    Blut und Tränen und Schmerz. Und Angst.
    Er saß ganz still neben mir und schwieg, den Blick gesenkt, seine Hände in meinen. Sie fühlten sich ganz warm an, trotz seiner Angst. »Wisst Ihr, was noch merkwürdig war?«
    »Was?«
    »Meine Sachen sind durchwühlt worden. Mein silbernes Brustkreuz ist verschwunden.« Der Blick, mit dem er schließlich aufschaute und mich ansah, traf mich im Innersten. Das Gefühl, das er in mir auslöste, war so stark, dass mir ganz warm wurde. Tränen traten mir in die Augen …
    Ich bin immer noch aufgewühlt von unserem Getuschel. Um mich zu beruhigen, atme ich langsam durch die Nase.
    Nein, Kardinal Guillaume d’Estouteville hatte Unrecht, als er mir in Rom von Yannic erzählt hat: »Dieser Bretone ist aus Granit gemeißelt, unverrückbar und unzerstörbar wie ein Menhir – aber den Granit entdeckt man erst, wenn man zuvor die Eisschicht abgeschlagen hat. Seine Haltung hat etwas … Wie soll ich sagen? … etwas unerschütterlich Aufrechtes, wie ein Menhir – Yann Créac’h wirft so leicht kein Orkan um. So sind sie, diese Bretonen: ein Volk des Meeres und des Sturms, dem der Tod stets gegenwärtig ist. Mit einem unerschütterlichen Glauben an Gott. Ihr Kampf gegen die Naturgewalten hat sie stolz und verschlossen gemacht, beharrlich, beherzt, aufrichtig und leidenschaftlich.«
    Nein, Guillaume, Ihr irrt Euch: Gestern Abend habe ich einen anderen Yannic kennengelernt, einen warmherzigen, feinfühligen und liebenswerten Menschen, der sich mir weit geöffnet hat, so weit, dass unser Gespräch mehr als nur vertraulich war. Die ganze Situation war … Wie soll ich sagen? … sehr intim. Nicht dass wir uns berührt …
    Irgendetwas stimmt nicht, das spüre ich. Aber was?
    Wonach riecht es hier eigentlich?
    Nach Weihrauch. Und nach etwas anderem, einem süßlichen, berauschenden Duft, der ganz sicher nicht in eine normannische Abtei gehört. Ich habe diesen Geruch gestern schon wahrgenommen, irgendwo im Labyrinth der Krypten und Kapellen. Während unseres Rundgangs durch die Abtei hat mir der Prior, Père Yvain de Bayeux, erzählt, dass in vielen Sälen und Kapellen Weihrauch verbrannt werde, um Satan fernzuhalten.
    Ich atme tief
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