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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans
Autoren: Barbara Goldstein
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Lider beobachte ich ihn, während sein Atem über mein Gesicht streicht. Er betrachtet das silberne Amulett mit dem Sigillum Dei, das ich im Ausschnitt meines offenen Hemdes um den Hals trage. Leicht wie ein Windhauch berühren seine Finger meine Haut, als er es umdreht, um die andere Seite zu betrachten.
    Er hält bestürzt den Atem an, als er das Siegel Gottes erkennt und die magische Inschrift liest, dann legt er es sachte zurück auf meine Brust.
    Unvermittelt wendet er sich ab und huscht durch den Gästesaal zu dem großen Eichentisch vor den Kaminen, wo neben einer Vase mit einem großen Strauß bunter Herbstblüten meine Satteltaschen liegen. Nach der Komplet hat Yannic mir die Blumen gebracht, die er offenbar selbst im Klostergarten geschnitten hat. Weiß der Himmel, wieso! Yannic ist für den Empfang von Pilgern und Gästen zuständig, Bettlern, Rittern und Königen, aber die Versorgung der hochrangigen Gäste mit Blumen gehört gewiss nicht zu seinen Aufgaben.
    Der Gästesaal ist eine zweischiffige Halle, deren schlanke Säulen ein Kreuzrippengewölbe tragen und deren hohe Fenster aus buntem Glas an eine Kathedrale erinnern. Ein prunkvoller Empfangssaal für englische und französische Könige, die mit ihrem Gefolge zum Mont gepilgert sind. Mit Tapisserien aus Seidenbrokat an den Wänden. Und Fresken des Erzengels an den hohen Gewölbedecken. Große Kerzenleuchter und mehrere knarzende Scherenstühle stehen um einen jahrhundertealten Refektoriumstisch herum.
    Leise seufzend drehe ich mich auf die Seite. Ich tue so, als würde ich schlafen, damit ich den Assassino beobachten kann. Der hält inne und blickt zu mir herüber. Als ich mich nicht bewege, wendet er sich wieder der Satteltasche mit meinem Gepäck zu. Zwei gefaltete und gesiegelte Pergamente zieht er hervor.
    Das Breve des Papstes, dessen Fälschung mir wirklich gut gelungen ist, hat eine ganze Girlande von Siegeln, die, während er liest, leise gegeneinanderschlagen.
    Der Assassino überfliegt das vermeintliche Beglaubigungsschreiben Seiner Heiligkeit, aus dem nicht hervorgeht, wieso ich mich in der Abbaye du Mont-Saint-Michel aufhalte. Kein Wort davon, dass ich die mysteriösen Todesfälle der letzten Jahre aufklären soll. Dass ich Vittorino, der seit Monaten verschwunden ist, finden und das Testament des Satans nach Rom bringen soll. Das Breve gewährt mir unbeschränkten Zutritt zur Klausur der Mönche: zum Dormitorium, zum Refektorium, zum Scriptorium mit der berühmten Bibliothek, ja sogar zu den täglichen Stundengebeten. Es fordert die vorbehaltlose Unterstützung des Priors zur Erfüllung meines päpstlichen Auftrags. Aber kein Wort von meiner umfassenden Handlungsvollmacht. Und kein Wort von meinem Status als Gesandte des Papstes.
    »Es heißt, das Testament bestehe aus einem geheimnisvollen strahlenden Metall«, hatte Papst Nikolaus in Rom mit leuchtenden Augen geflüstert. Das Vermächtnis Satans fasziniert ihn. Genauso wie mich. »Es soll in einer mit Blei ausgekleideten Truhe liegen, die immer verschlossen bleiben muss. Wer sie öffnet, muss auf grauenvolle Weise sterben, wie von einem inneren Feuer verbrannt. Alessandra, ich will wissen, was dahintersteckt. Schau doch auf einen Sprung auf dem Mont-Saint-Michel vorbei, sei so gut, mein Liebes. Tu einem alten Freund diesen Gefallen.«
    Papst Nikolaus und ich sind seit Jahren eng befreundet. Als Bischof von Bologna war Tommaso oft zu Gast in meinem Palazzo. Als ich traurig schwieg, beugte er sich vor, ergriff meine Hand und hielt sie fest.
    Tommaso kennt alle Symptome eines akuten Anfalls meines Schatzsucherfiebers: aufgeregtes Herzklopfen, wuselige Ungeduld, Entschlossenheit, mich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen, und das, was er frotzelnd meinen ›irren Blick‹ nennt: eine fast ekstatische Euphorie.
    »Die Reise wird dir guttun, dich auf andere Gedanken bringen.« Seine Stimme klang sanft und tröstend. »Seit du nach dem Tod von Yared und Elija von Granada nach Rom zurückgekehrt bist, vergräbst du dich im Palazzo Colonna. Alessandra … nein, Alessandra, lass mich bitte ausreden! Ich brauche dich. Ich will dich wiederhaben. He, du brauchst überhaupt nicht genervt die Augen zu verdrehen! Wie konnte ich dich bloß vor zwei Jahren nach Granada gehen lassen? Aber du musstest ja diesen Ju …« Er räusperte sich. »… Prinz Yared heiraten, den Wesir von Granada. Deine Chuzpe möchte ich haben! Dann würde ich die Kirchenunion mit den Orthodoxen durchsetzen und den
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