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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel
Autoren: A.R. Lloyd
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Reihe von Befehlen aus Wilderers Mund. »Paß auf die Netze dort auf! Da ist noch eins! Es reißt aus – beeil dich! Laß den Hund los!«
    Es wird Zeit, sich abzusetzen, dachte Kine. Der Junge hatte das Gewehr in die Hand genommen, während der Terrier, endlich befreit, in den Brombeersträuchern neben dem alten Zauntor herumtobte. Kine zog sich zurück. Es gab kaum eine Deckung, doch da die meisten Netze schon wieder eingesammelt waren, lockte der Kaninchenbau. Zwei Sätze und das Wiesel befand sich in der Unterwelt. Die Gänge waren ihm vertraut. Lehm und Ton, Wurzeln und Nebenwurzeln, er fand sich in den erdigen Tunneln zurecht und ließ das Gekläff des Hundes bald hinter sich.
    Er lief in der Dunkelheit, geleitet von einem Witterungs- und Tastinstinkt, einem sechsten Sinn, und hörte auf die Geräusche, die der Lehmboden aufnahm und weiterleitete. Der Aufbau des Tunnelsystems war kompliziert, voll von Fluchtwegen und Sackgassen. Grunzlaute waren zu vernehmen. Er spürte das Vibrieren von scharrenden Füßen. In einen Seitengang ausweichend, ließ er ein vorbeistürmendes Kaninchen passieren; dann schlängelte er sich weiter vorwärts. Nun wurde es feucht, nasse Erde sammelte sich an seinen Pfoten, denn der Weg lag tiefer. Decke und Wände strömten einen starken, torfigen Geruch aus. Faserige Wurzeln stießen gegen seine Flanken. Totenstille. Dann wurde der Pfad steiler: An Steinen und Kieseln vorbei kletterte er nach oben.
    Am Ende des Tunnels wurde das Licht wieder sichtbar, und das Wiesel blieb stehen. Den Hals reckend, spähte Kine aus der Öffnung, die von Grasbüscheln umgeben war. Eine winterliche Sonne schien auf die Marschlandschaft und enthüllte kräftige Farben, als Schnee und Eis schmolzen. Er befand sich am Waldrand und blickte über die Ebene hinweg. Das Gekläff des Hundes war zu einem weit entfernten Blaffen geworden.
    »Auf der Flucht vor Wilderer, Kine?« Ein anderes, viel kleineres Wiesel beobachtete ihn.
    Kine erwiderte den prüfenden Blick. Störenfriede mußten mit Unannehmlichkeiten rechnen, aber die junge Kia drängte sich immer wieder auf. Er fragte sich manchmal, warum er sie eigentlich gewähren ließ, da sie doch mit ihrer spitzen Zunge noch schonungsloser plapperte, als es seine Mutter je getan hatte. Er ignorierte sie und mühte sich ab, den Dreck von seinen Pfoten zu bekommen. »Kine läuft vor niemandem weg«, erklärte er dann, als er wieder Atem geschöpft hatte.
    Sie sah ihn scharf an. »Du bist ganz schön eingebildet.«
    »Stolz«, berichtigte er. Das war ein Unterschied. Diejenigen, die allein jagten, die ihre geistigen Fähigkeiten gegen viele und größere Feinde einsetzten, wurden vom Stolz bestärkt. Bescheidenheit war etwas für Tiere, die sich von Pflanzen ernährten, etwas für Beerenfresser und Grasknabberer. Er sagte: »Wilderer kränkelt. Bald werden nicht einmal mehr die Kaninchen vor ihm weglaufen.«
    »Du weißt viel.« Sie beobachtete, wie er sich säuberte.
    »Ich kenne den Wald und die Marsch.«
    »Wirklich?«
    Er streckte sich mit Behagen aus. Die Sonne wärmte schon. Es war einer von jenen Januarmorgen, an denen der Himmel mit einer Ankündigung des Frühlings überrascht und der tiefe Winter sich nicht mehr halten kann. Doppelt befriedigt nahm Kine ihre Ironie hin. »Stell mich auf die Probe«, antwortete er gelassen.
    »Sag mir eins …«
    »Ja«, ermunterte er sie gönnerhaft.
    Kia setzte eine ernste Miene auf. »Sag mir, was hat Schwimmhäute zwischen den Krallen und ein Fell, klettert auf Bäume, riecht fürchterlicher als der Galgen und kann einen Hecht töten?« Ihr Schwanz bewegte sich hin und her. »Du weißt es nicht! Siehst du, du weißt nicht alles. Aber ich habe es gesehen, und es hat mich in Schrecken versetzt. Es war ein Dämon, ein Wassermonster.« Sie erzählte aufgeregt. »Es kam aus dem Fluß, mit wogendem Schwanz und entsetzlichen Kiefern, halb Fisch und halb Säugetier, und fraß den Hecht. Dann kletterte es auf einen Baum, Kine. Es kletterte auf einen Baum und sah sich um; schließlich kehrte es zum Fluß zurück, verschwand wieder in die Tiefen.« Sie brach ab und fügte einen Augenblick später ruhig hinzu: »Du wirst laufen, Kine – du wirst laufen, wenn du dieses Wesen siehst, das sag’ ich dir.«
    Kine folgte der Hecke bis zum Flachland und lief dann an dem breiten Graben entlang, der Mullen-Kanal genannt wurde. Befreit von der vorangegangenen Starre, sandte die Luft Nebelschwaden aus, die das vereinzelte Buschwerk mit einem
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