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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel
Autoren: A.R. Lloyd
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waren, drängte er sie aus der Höhlung und folgte ihr ins Freie nach. Das letzte Weibchen, das im Lebensbaum gewohnt hatte, war furchtlos gewesen: Er dachte an seine Mutter, an ihre unerschrockene Wildheit. Er erinnerte sich daran, wie sie die Opfer am Galgen geehrt hatte: »Sie waren allein und ohne Furcht, trotzten der Eule und dem Falken, dem Mann und dem Hund des Mannes; und bei unseren eigenen Heimsuchungen werden wir daran denken. Allein, im Kampf, werden wir uns ihrer erinnern.«
    Er sah Kia an und blieb unbeeindruckt. »Noch etwas, bevor du losgehst«, sagte er; die Schroffheit in seiner Stimme war zurückgekehrt. »Die Weide ist keine Herberge. Der Baum und die Höhlung sind heilig und befinden sich in meiner Obhut. Auf Wiedersehen, Kia.«
    »Entschuldige.« Sie schaute zu, wie er ging. »Ich wußte es nicht. Warte auf mich …«
    Er sprang rasch davon, und die Wieselin folgte ihm, den Pfützen ausweichend, bis er die Zähne fletschte. Dann sagte sie flehend: »Ich habe Neuigkeiten für dich. Ich wollte sie dir mitteilen, Kine. Warte auf mich.«
    Der Regen hatte sich verstärkt, die wegfahrenden Landrover waren kaum noch zu sehen. Der Geruch von Jagdhunden lag schwer auf der Wiese – und der Geruch des Todes, wo kleine Federhaufen kalt und naß wurden. Die Augen wegen des Regens halb geschlossen, blieb Kia standhaft. »Es ist wichtig. Kine. Es wird dich interessieren, wirklich.«
    Sie schwieg und schüttelte sich die Regentropfen von ihrem Fell. Ihre Augen schimmerten verschmitzt, als sie bemerkte, daß sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Mittlerweile hatten sie den Holzstoß neben dem Misthaufen, der nun nicht mehr benutzt wurde, erreicht. Vor ihnen stand die Scheune, etwas weiter weg Wilderers Häuschen. Das Scheunendach senkte sich bedenklich über die altmodische Tenne, an den Seiten strömte und tropfte das Wasser hinunter. »Ich dachte mir nur«, sagte Kia, es in die Länge ziehend, »daß du es wissen solltest.«
    Durch die offenen Scheunentore hindurch hielt die Schleiereule auf einem hoch gelegenen Balken aus Eichenholz – der Spanten eines ehemaligen Kriegsschiffes – Ausschau. Sie saß bewegungslos da. Bei Nacht streifte sie mit geisterhaften Flügeln durchs Tal oder startete ihren blutrünstigen Angriff von der Hügelkette aus. Aber nun präsentierte sie im Schatten des Daches stumm ihr schwarzgetüpfeltes Gefieder und ihre schneeweiße Brust; es schien so, als ob sie ebenfalls aus Eichenholz geschnitzt worden wäre. Doch sie verfolgte aufmerksam jede Bewegung der Wiesel.
    Am Holzstoß änderte Kine seine Meinung. »Du hast recht, das hätte ich wissen müssen.«
    »Du glaubst mir nie.«
    »Das ist etwas anderes.«
    »Hier«, zeigte Kia. »Die Rattenspuren sind nicht zu übersehen.«
    Kines Nacken sträubte sich. Diesmal glaubte er ihrem Geschwätz. Wiesel waren dazu geboren, die Ratten, ihre natürlichen Feinde, aufzuspüren und zu bekämpfen. »Gut, daß du mir Bescheid gesagt hast. Sie muß ausfindig gemacht werden, bevor noch mehr dazukommen und sie die Gegend verunsichern.«
    Kia nickte. Dieses Vorhaben war viel weniger abschreckend als ihr Alptraum am Flußufer, doch zumindest erweckte es sein Interesse. »Ich habe dir noch nicht erzählt«, sagte sie, ihre wachsende Bedeutsamkeit genießend, »wo sich die Ratte versteckthält. Sie hat sich auf Wilderers Hof verschanzt, unter dem Hühnerstall.«
    »Auf Wilderers Hof!«
    »In Wilderers altem Obstgarten.«
    »Ich verstehe«, sagte er. Er kam nicht umhin, der Ratte für die geschickte Wahl ihres Verstecks Anerkennung zu zollen. Der unerquickliche Wilderer und das abscheuliche Nagetier! Sie waren einander würdig, dachte er, und wenn die Ratte Wilderer belästigte, warum sollte sich Kine, der beide verachtete, darum kümmern. War es nicht in Ordnung so? »Warum sollte ich Wilderer beschützen?« fragte er laut.
    Kia überdachte es. »Besonders«, sagte sie, »da die Ratte in dieser Jahreszeit mächtig hungrig ist und doppelt so schwer wie du. Warum sollte man das Risiko eingehen?«
    »Risiko?«
    »Die Ratte ist schlau und heimtückisch.«
    »Und Kine ist doppelt so schlau und mutig dazu!« Er hatte nach einer Antwort gesucht und nun den Ansporn zum Handeln erhalten, dem er nicht widerstehen konnte. Natürlich war es nicht in Ordnung, denn zwar war Wilderer nichts anderes als ein Dieb in Kines Revier – aber lag Wilderers Hof nicht in seinem Herrschaftsgebiet? »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst«, sagte er, »daß ich die Ratte dort
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