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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel
Autoren: A.R. Lloyd
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Gewehre und am Waldrand eine Unmenge von Wildvögeln und anderen Tieren, die kurz davor waren, aus dem Dickicht ins Freie zu laufen. Der Hase bewegte sich mit seinen flach angelegten schwarzen Ohren langsam vorwärts. Ein Eichhörnchen erwachte aus seinem Winterschlaf, kletterte auf einen Ast und verschwand wieder. Aus dem Dachsbau, der sich zwischen den riesigen Wurzeln einer uralten Eiche befand, erschien eine weiße Schnauze, ängstlich schnuppernd. Es schien so, daß überall kleine Wesen in Aufregung geraten waren. Kine beobachtete alles mit verächtlichem Blick. »Es ist kein Vorzug, in Gesellschaft zu sterben«, knurrte er.
    »Ich bin nicht gerne einsam.«
    Er knurrte mürrisch. Der erste Vogel, der aus dem Wald hervorbrach, war ein Grünspecht, dicht gefolgt von einigen Elstern und zwei Eichelhähern. Sie flohen stillschweigend, unbelästigt von den Gewehren, den Fasanenmördern. »Sein Leben in Einsamkeit zu verbringen wäre furchtbar«, sagte Kia leidenschaftlich.
    »Wir leben unter Räubern und Dummköpfen und schlagen uns alleine durch.«
    »Nach welchen Leitbildern?«
    »Sieh die Sonne an und den Mond, die Mächtigsten von allen. Gehen sie nicht allein auf ihren eigenen Wegen?« Kine betrachtete die Fasane, einfältige Geschöpfe, und bedauerte sie. Flink durchs Gestrüpp rennend, flüchteten sie vor den Treibern zum Waldrand, wo sie steil in die Luft aufstiegen. Als erstes kam ein Männchen. Einen Schrei ausstoßend, flog es mit glänzendem Nacken und bewegten Schwanzfedern ins Freie, zuckte zusammen, als der Schuß traf – und stürzte zu Boden. Es folgte ein Weibchen, das sogleich mit blutendem Hals auf die Erde glitt. Kine beobachtete weitere Fasane, die hinausflatterten und getroffen wurden. »Sie folgen wie die Schafe«, murmelte er.
    Aber wir sind nicht wie Sonne und Mond, dachte das kleinere Wiesel, als die Gewehre krachten; und nach einer kurzen Pause redete sie weiter:
    »Ich glaube nicht, daß wir dazu bestimmt sind, für immer allein, nur für uns selbst zu leben, Kine. Ich glaube, es ist besser, unsere Ängste gemeinsam zu durchstehen, uns gegenseitig zu helfen.«
    »Ängste!« Er schnaubte verächtlich.
    »Es gibt sie, sogar Wiesel haben manchmal Angst; außer wenn man Kine heißt natürlich«, bemerkte sie bissig. »Vor langer Zeit haben sich unsere Vorfahren zusammengeschlossen, um sich zu schützen.«
    »Ja, früher haben sich Wunder zugetragen.« Er hatte zwar Geschichten von Wieselbanden gehört, von Rudeln, die die Zigeuner damals dandy hounds, geckenhafte Jäger, genannt hatten, doch er blieb skeptisch. Im Gegensatz zu Wilderer, der als Junge eine Bande dieser kleinen, roten Tiere gesehen hatte, gab es für Kine keinen Grund, an solch seltsame Vorkommnisse zu glauben. Wenn es tatsächlich Wieselrudel gegeben hatte, dann mußten die Tiere, seiner Meinung nach, anormal gewesen sein und hatten die Rechte des einzelnen und dessen Revier mißachtet. Vor Ungeduld knurrte er wütend. »Zwei sind zuviel.«
    »Ich würde mich weniger fürchten«, sagte Kia, »wenn mehr von uns da wären.«
    Ihre Schamlosigkeit ließ ihn verstummen. Die Fasane rannten zur Wiese, schwangen sich empor und wurden, als sie an Höhe gewannen, von den Gewehrsalven erfaßt. Die Schüsse fegten durch die Luft, brachen Flügel und zerfetzten Federn, Herz und Lungen. Kia war störrisch, doch ihn überkam plötzlich eine widerwillige Fürsorglichkeit. »Hör mal zu!« sagte er etwas freundlicher. »Sie schießen nicht auf uns. Du hast doch keine Angst, Kia.«
    »Vor den Gewehren vielleicht nicht.«
    »Sondern?«
    »Der Fluß – das Wesen, was ich dir beschrieben habe.«
    Kine hatte es vergessen. »Ach das«, erwiderte er abwertend.
    »Das Unbekannte, Kine. Etwas Böses geht vor sich. Da bin ich mir sicher …«
    Ihre Bestimmtheit wurde vom anwachsenden Getöse überschattet. Alle Gewehre waren nun mit flammenden Läufen im Einsatz. Die fieberhafte Erregung mündete im wilden Delirium, als die in Panik fliehenden Vögel den Himmel füllten, als sich Rauch und Nieselregen über dem Gras vermischten. Die Fasane schlugen aufgeregt mit ihren Flügeln, kippten seitlich ab und schlingerten, rannten verwundet umher, wurden in Stücke gerissen und brachen zu braunen Haufen zusammen. Dann wurde es ruhiger, fast still, und »… bald sind wir an der Reihe«, sagte sie. »Doch es werden nicht die Gewehre sein. Es kommt vom Fluß, Kine. Dort braut sich Böses zusammen.«
    Kine verzweifelte an ihr. Als die Gewehre verschwunden
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