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Das Tal Bd. 7 - Die Jagd

Das Tal Bd. 7 - Die Jagd

Titel: Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Autoren: Krystyna Kuhn
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er scheint ebenso wenig zu kapieren, aber immerhin ist die Wut aus seinem Gesicht verschwunden, wenigstens das.
    Robert zeigt wieder auf das Standbild. »Frank Carter. Er ist die Lücke. Alle, die hier in dem Film im Kreis sitzen, gehören genetisch zu einer Linie. Die direkt abstammt von Dave Yellad. Nur Frank«, er deutet auf die lange Gestalt, die sich dazwischengedrängt hat, »Frank Carter gehörte nicht dazu.«
    David neben mir nickt. »Es stimmt«, sagt er leise. »Wir haben den Stammbaum ausgewertet. Franks Linien gehen weder auf Sarah noch auf Timothy zurück.«
    Jetzt begreife ich. »Aber Peter Forsters Stammbaum, der ja der leibliche Bruder von Paul war, schon.«
    Ich merke gar nicht, wie ich den Film wieder in Gang setze. Das Bild läuft weiter, jetzt geht Peter Forster aus dem Bild, als hätte er unsere Worte gehört, und Frank Carter bleibt im Kreis zurück.
    Nun sind sie wieder acht. Und einer unter ihnen ist ein Fake, das Glied der Kette, das nicht passt.
    Wir schweigen. Der Filmstreifen flattert in der Luft, während die Spule sich weiterdreht und auf der Leinwand dort vorne nur noch ein großer weißer Fleck ist, weiß, weiß wie Schnee, weiß wie Eis. Ich kenne diese Farben oder vielmehr das Fehlen dieser Farbe, ich habe sie schon einmal gesehen, letzte Nacht, als ich auf den weißen Film starrte, den Youtube abspielte, und meine eigene Stimme hörte.
    Kalt, mir ist plötzlich so kalt.
    Die anderen reden durcheinander, aber ich höre ihre Worte nicht. Denn was ich fühle, das bedeutet mehr als einfach nur einen Schock.
    Es ist der Horror, der absolute Albtraum. Er lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Das Licht da vorne verändert sich. Ich hebe den Ellbogen und verdecke meine Augen, um nicht geblendet zu werden. Dann springe ich auf, stoße gegen den Projektor, der nach unten kracht, und die totale Dunkelheit bricht aus. Wie ich es schaffe, dennoch aus dem Vorführraum zu kommen, verstehe ich nicht. Aber ich muss raus hier. Raus aus dieser Enge, wo Wände sich krachend auf mich zubewegen. Ich strecke die Arme aus, versuche, sie wegzuschieben oder mich festzuhalten.
    Von weit her Chris, der schreit: »Benjamin. Benjamin. Wo willst du hin?«
    Doch ich höre nicht mehr, stürze nur noch nach vorn, hinein in das große Weiß.

Ice Age
    A ls ich wieder zu Bewusstsein komme – obwohl nein, falscher Ausdruck, das Bewusstsein scheint mir abhandengekommen –, dringt Eiseskälte ausgehend von den Zehenspitzen hoch zu meiner Brust. Nässe durchdringt meine Hose und meine Jacke scheint steif gefroren. Der Himmel über mir ist weit entfernt. Mein Kopf ist leer, leicht, luftig. Ich möchte so liegen bleiben, aber ehrlich, es ist scheißkalt. Die Kälte frisst mich von innen auf. Als hätte jemand einen ganzen Eimer Eiswürfel über mir ausgekippt. Sie durchdringt alles. Meine Kleider, meine Haut, sie kriecht in die Organe. Ich hätte nicht gedacht, dass man sogar im Magen frieren kann. Echt, ich habe das Gefühl, meine Organe kleben zusammen, mein Körperinneres ist nur noch ein einziger Eisklumpen. Ich öffne den Mund aus Sorge, auch die Lippen könnten zusammenkleben, und ich wäre nie wieder in der Lage, sie zu öffnen.
    Ich weiß doch, wie das läuft. Zuerst friert einem immer die Nase ab. Der Körper verlangsamt seine Reaktionen, das Gehirn stumpft ab. Beweg die Hände, sage ich mir. Beweg die Hände, die Beine, den Mund und hör nicht auf damit. Sonst erfrierst du.
    Also zappele ich herum wie ein Fisch, der an Land gezogen worden ist, und spüre mich bald tatsächlich wieder. Bin sogar in der Lage, den Kopf zu heben.
    Mir fehlt jede Orientierung. Was Raum betrifft und Zeit. Und Licht und Dunkelheit. Stille und Geräusche. Ich weiß nicht, ob ich sitze, ob ich liege. Vielleicht atme ich nicht
    einmal mehr. Es ist, als ob ich nur in meinem Kopf existiere.
    Wo bin ich?
    Eigentlich eine rein rhetorische Frage, denn es gibt nur eine Möglichkeit. Ich muss mich in der Gletscherspalte befinden, in der Paul Forster sein Grab gefunden hat. So weit bin ich inzwischen. Ich versuche gar nicht mehr, an meinen Visionen zu zweifeln, sondern bin dazu übergegangen, sie als real zu akzeptieren. Aber das bedeutet, ich bin auf dem Gletscher, direkt unterhalb des Ghost. Sozusagen in der Todeszone.
    Und wenn das so ist, muss er auch hier sein.
    Paul Forster.
    Ich sehe mich um und kann kaum etwas erkennen. Hier unten herrscht ein seltsames Licht. Um mich herum glitzert und flimmert das Weiß der Eiskristalle,
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