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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse
Autoren: Stephen King
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Gesicht an, dass sie auch nicht mehr verstand als ich, aber ich war ganz Ohr und hatte ein gutes Gefühl.
    »Können Sie das, was Sie soeben gesagt haben, auch in einer für Laien verständlichen Sprache ausdrücken?«, fragte Dr. Draper.
    Duling blickte auf und bellte: »Weil sie alt ist, hört sie möglicherweise in komplexen Geräuschen Dinge, die andere nicht hören können. Ist das verständlich genug?«
    »Ja«, sagte Dr. Draper. »Danke.«
    Ich nickte und behielt meine Gedanken für mich. Natürlich höre ich in komplexen Geräuschen Dinge, die andere nicht hören. Ich verfüge über die Gabe des Hellhörens, verdammt noch mal!
    »Die Patientin hat zwar schon einmal einen Tinnitus gehabt«, fuhr Duling fort, »aber das ist bei der Analyse des aufgenommenen Materials nicht relevant. Wie bei vielen anderen Menschen auch, kann man bei ihr zeitweilig das Phänomen so genannter OAEs beobachten. Das ist eine Abkürzung für oto-akustische Emissionen.«
    Dr. Draper sah ihn mit großen Augen an, was Duling aber nicht zu bemerken schien.
    »Diese OAEs hat man vor zehn oder zwanzig Jahren entdeckt«, erklärte er. »Ihre Ohren – unser aller Ohren – senden tatsächlich unter bestimmten Umständen sehr leise Geräusche aus. Dies geschieht nicht nur spontan, solche Geräusche können manchmal auch von externen akustischen Stimulationen hervorgerufen werden.«
    »Auch hier wäre eine für Laien verständlichere Sprache durchaus hilfreich«, sagte Dr. Draper.
    »Lassen Sie mich überlegen!«, sagte Duling stirnrunzelnd.
    »Nun gut, unter gewissen Voraussetzungen können wir Psychoakustiker mittels hoch empfindlicher Aufnahmegeräte das Klingeln in Ihren Ohren hören. Wie finden Sie das?«
    »Ich finde es höchst interessant«, sagte ich.
    »Freut mich, wenn ich wenigstens eine von Ihnen beeindrucken konnte. Nun, all das, was ich eben gesagt habe, wäre im Hinblick auf das Tonband, das Sie in dem Lift aufgenommen haben, völlig bedeutungslos, wäre uns da nicht ein besonders glücklicher Zufall zu Hilfe gekommen. Als man Sie nach Ihrem Anfall, oder was immer das auch gewesen sein mochte, auf dem Boden des Aufzugs fand, lag das Diktiergerät nur wenige Millimeter von einem Ihrer Ohren entfernt.«
    »Genau das hat Bobby mir auch erzählt!« Ich war so aufgeregt, dass ich kaum mehr an mich halten konnte.
    »Aber ich kann Ihnen nicht sagen, warum das so war. Ich glaube nicht, dass ich es bewusst dort hingelegt habe.«
    »Jedenfalls konnte ich das Band auf die extrem leisen Echos der Geräusche hin untersuchen, die Sie tatsächlich mit Ihren Ohren gehört haben. Diese Geräusche wurden nämlich aus Ihren Ohren in das noch immer eingeschaltete Diktiergerät übertragen. Und es sind Geräusche, die nur Sie hören können, weil Sie aufgrund Ihres Alters in der Lage sind, temporale Feinstrukturen wahrzunehmen. Wir jüngeren Menschen können diese Geräusche nicht hören, und deshalb könnten unsere Ohren ihre Echos auch nicht so wiedergeben wie die Ihren. Glücklicherweise aber können wir die Echos hören, weil sie von Ihrem Diktiergerät aufgenommen wurden. Alles klar?«
    Selbst Dr. Draper hielt es jetzt kaum mehr auf ihrem Stuhl.
    »Was ich also getan habe, war Folgendes«, fuhr Dr. Duling fort. »Ich habe Ihr Band einer Prozedur unterzogen, die wir Feinanalyse nennen. Dabei blenden wir ein Nebengeräusch nach dem anderen aus und rechnen das Signal, auf das es uns ankommt, so lange hoch, bis wir es von den meisten Störungen befreit haben.«
    »Könnten Sie das vielleicht …«, begann Dr. Draper.
    »Nein, kann ich nicht«, raunzte Duling. »Aber ich kann Ihnen das Ergebnis vorspielen. Ist es das, was Sie gehört haben, Mrs. Druse?«
    Er klickte mit seiner Maus und starrte auf den mittleren Bildschirm. Und tatsächlich, wie durch ein Wunder konnte ich jetzt die Stimme des armen Mädchens hören. Es weinte und schien uns etwas von jenseits des Grabes zurufen zu wollen.
    Auf einmal bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut.
    »Es ist leider noch sehr stark verzerrt«, sagte Duling. »Aber ist es in etwa das, was Sie gehört haben?«
    Dr. Draper war ganz blass geworden. Offenbar berührte sie die verzweifelte Stimme ebenso stark wie mich, als ich sie zum ersten Mal gehört hatte.
    »Das ist …«, stammelte sie.
    »Ganz schön unheimlich, wenn Sie mich fragen«, ergänzte Duling.

LENNY
    Als ich endlich neben Lennys Bett stand, war es schon Nacht.
    Draußen brach ein Wintersturm los. Lenny war immer wieder für kurze Zeit bei
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