Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus
Autoren: Dirk C. Fleck
Vom Netzwerk:
Auftritt Maeva missfiel, lag darin, dass die Tahitianer sich nicht auf Kosten anderer profilieren mochten, so etwas galt in Polynesien als Frevel. Cording selbst hatte damit kein Problem. Aber der eigentliche Reiz der Sendung bestand für ihn nicht in dem aggressiven Auftritt des Protagonisten, dessen geschliffene Agitation dem Thema durchaus angemessen war – vielmehr war es die Struktur der Show, das Gesamtpaket, das ihn faszinierte.
    Da gab es zum Beispiel die GO!-Visionen. Unter dem Motto »Das wäre Ihre Zukunft gewesen!« wurde in jeder Sendung ein computeranimiertes Szenarium gezeigt, das sich aus einer konsequenten ökologischen Lebensführung ergeben könnte: »Paradies Großstadt«, »Energie – ein Geschenk des Himmels«, »Die Rückkehr der Tiere«, »Ein Leben ohne Geld« – so etwa lauteten die Titel. Ebenso sehr liebte er die Rubrik GO!-Nature – sie bestand aus Filmen, die dem Mysterium des Lebens feinsinnig auf die Spur zu kommen suchten, indem sie die Schönheit der Schöpfung in die Waagschale warfen, um unseren gedankenlosen Umgang mit ihr umso deutlicher ins Bewusstsein zu heben. GO!-Music war ein weiteres Highlight. In jeder Sendung waren Musiker aus den hintersten Ecken der Welt zu Gast. Viele von ihnen hatten ihr Dorf für diesen Auftritt das erste Mal verlassen.
    Spannend waren auch die GO!-Heroes. Heute präsentierten sie ein Videointerview von Earth-First!-Aktivisten mit dem amerikanischen Exgeneral Francis Morgan. Der Mann war nach dem Interview von den Aktivisten hingerichtet worden, aber davon war in diesem Beitrag nicht die Rede.
    Ein weiteres Juwel der Sendung war die Rubrik GO!-Native. Sie brachte Menschen aus alten, einigermaßen intakt gebliebenen Kulturen auf die Bühne, die trotz unterschiedlichster Geschichte über ähnliche Endzeitprophezeiungen verfügten. Die GO!GO!GIRLS am Schluss der Show waren natürlich auch nicht zu verachten …
    Aber so weit war es noch nicht. Im Augenblick starrte Cording auf ein Potpourri aberwitziger Filmschnipsel, die im Norden Kanadas entlang des Athabascastroms gedreht worden waren. Er sah eine Kraterlandschaft im Schnee, durchzogen von den Spuren unablässig rollender Monstertrucks. Er sah kilometerlange Förderbänder sich zu Raffinerien erstrecken, die wie futuristische Städte am Horizont glitzerten. Aus ihren Schornsteinen entwichen Schmutzfahnen, die sich zu einem dunklen Schleier verbanden, der die Sonne wie eine milchige Geschwulst aussehen ließ. Aus Rohren, durch die bequem eine U-Bahn hätte fahren können, stürzte eine schwarze Flüssigkeit in riesige Auffangbecken. Das ganze Land sah aus wie eine einzige Schorfwunde.
    »Seit über zwanzig Jahren wird hier vierundzwanzig Stunden am Tag geschuftet« , hörte Cording Shark sagen, »das große Geschäft mit dem kanadischen Ölsand ist eine der letzten Perversionen, die sich der Mensch leistet, bevor es auf diesem Planeten nichts mehr zu plündern gibt. Auf einer Fläche so groß wie England pressen die Konzerne der Natur die Reserven ab. Mit den Wäldern und Feuchtgebieten, die dieses herrliche Land einmal prägten, sind neunhundert Pflanzen- und fünfhundert Tierarten verschwunden. Wir haben es hier mit einer Zerstörungsshow der Superlative zu tun, denn um an den Stoff zu kommen, nach dem unsere Konsumgesellschaft süchtig ist, muss bis zu hundert Meter tief gegraben werden.«
    Cording blickte in Schlünde, auf deren Grund sich Dutzende von Fahrzeugen wie Ameisen bewegten. »Die weltgrößten Bagger beladen die weltgrößten Muldenkipper. Sieben Millionen Euro teuer und dreitausendfünfhundert PS stark, voll beladen mit vierhundert T onnen Sand, die anschließend im sogenannten Crusher landen. Extraktion heißt der Prozess, in dem aus zwei Tonnen Sand ein Barrel Rohöl entsteht – einhundertneunundfünfzig Liter. Insgesamt gewinnen die Firmen aus dem Sand täglich vier Millionen Barrel. Für jedes Barrel Öl verbraucht die Industrie zwischen drei und sechs Barrel Wasser. Der Athabasca, einer der längsten Flüsse Kanadas, dient der Ölsandproduktion als Hauptwasserquelle.«
    Shark stieß verächtlich mit dem silbernen Knauf seines Spazierstocks gegen die Videowand. Der Stock war sein Markenzeichen, und für gewöhnlich ging er äußerst pfleglich damit um. »Kanada hat sich in eine Hexenküche verwandelt!«, rief er. »Die Ölsandindustrie frisst Unmengen an Energie und spuckt sie als Treibhausgase wieder aus. In diesen Anlagen wird der Ölsand in seine Bestandteile zerlegt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher